Der Vorleser

Der Vorleser

1892/1910 - 1936

Seiten

Rezension der Münchener Zeitung

Sein Auftreten hat etwas Scheues, Zaghaftes, aber wenn er erst darüber hinweg ist, dann trägt er mit scharfer Pointierung, vielem Temperament und einer klaren, klingenden Stimme vor. Seine Satire richtet sich gegen alles, was an unserer Kultur schief und faul ist. Sein Witz trifft mitten ins Herz der Dinge, und von seinem Geiste geformt, gewinnt das Gewagteste eine bestechende Form. Aber — man sollte nicht so viel davon zu hören bekommen.

Rezension der Münchner Neuesten Nachrichten

Karl Kraus erschien gestern abend zum erstenmale im Jahreszeitensaale und las aus seinen Schriften vor. Seine plastische Art zu sprechen, gab den Dingen Relief, und die baritonale Wienerische Färbung störte nur anfänglich. Die Gedankenketten und Erkenntnisse, die Kraus zutage fördert, sind zu bedeutend, als daß man sie sich durch irgendwelche Landesfarben maseriert vorstellen möchte. Nach der grotesken Paraphrase »Die Welt der Plakate« rezitierte Kraus einiges aus den Aphorismen. Das geschah mit Einfachheit, aber auch ohne die Pose der Schlichtheit.

Rezension der Münchener Post

Karl Kraus, der uns Münchnern vor allem als Mitarbeiter des Simplicissimus bekannte Herausgeber der Wiener Fackel, saß Mittwoch abend im Festsaal der Vier Jahreszeiten am Vortragspult und las aus seinen im Verlag Albert Langen erschienenen Aphorismen und Aufsätzen ausgewählte Bruchstücke. Kraus ist ein Verneiner von seltener Rücksichtslosigkeit, ein Spötter von blitzender Stilgewalt, ein Angreifer von katzenhafter Bissigkeit. Ich möchte den Dämon, der in ihm lauert, eher eine Ausgeburt, denn einen Sohn unserer qualvoll zerrissenen Zeit nennen.

6. Vorlesung am 30.11.1910

30.11.1910
München

[Karl Kraus las im Jahreszeitensaal in München: Die chinesische Mauer (Elsie Siegel) / Satiren / Heine und die Folgen  / Einiges über Maximilian Harden (Harden-Lexikon) - vgl. Die Fackel 313-314, 31.12.1910, 47-50]

Rezension der Frankfurter Nachrichten und Intelligenzblatt

Der Umstand, daß bei diesem Manne zweitausend Liebesbriefe weißer Frauen gefunden wurden, gebe dem Ereignis seine kulturbange Größe. Dasselbe zeige sich, wenn Menschen fremder Rasse, die Genuß und Ethik auseinanderhalten, sich auf unseren Jahrmärkten zeigen. Auch diese Auseindersetzung in ihrer schlagwortreichen Verallgemeinerung fand lebhaften Beifall, der allerdings zum Teil der blendenden Fassung und der feurigen Wärme des Vortrags zuzuschreiben ist....

Rezension der Volksstimme

Als Kulturkämpfer geißelt Kraus alle Erscheinungen an Unkultur, indessen er geißelt bloß, warum das so ist und wie man die Sache von der Wurzel aus positiv bekämpfen kann, überläßt er besser schon dem ‚Kunstwart‘.

[Volksstimme, zitiert in: Die Fackel 313-314, 31.12.1910, 51] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Rezension der Frankfurter Zeitung

Unter dem Titel »Die chinesische Mauer« hat der Wiener Satiriker Karl Kraus (der heute Abend in der Frankfurter Gesellschaft für ästhetische Kultur aus seinen Werken vorliest. D. Red.) bei Albert Langen in München einen Band gesammelter Aufsätze herausgegeben, die ursprünglich zum Teil in der ‚Fackel‘, zum Teil im ‚Simplicissimus‘ erschienen sind. Es ist, wie sich von selbst versteht, ein Band Ketzereien, auch viel Kanalräumerarbeit darunter, aber mit silberner Schaufel verrichtet.