Der Vorleser

Der Vorleser

1892/1910 - 1936

Seiten

67. Vorlesung am 13.02.1914

13.02.1914
München

[Karl Kraus las in] München, im Richard Wagner-Saal, am 13. Februar: I. Erklärung. — Die Sprache der Konzertagentur; Den im Grunewald; Der liebe Gott; Der Sadist; In der Werkstatt; Ein Verlorener; Ein reiner Künstler; Aphorismus über Altenberg; Das kommt von den Vorurteilen …; Schlichte Worte; Petite chronique scandaleuse; Von den Dummköpfen / Titanic II. Die Kinder der Zeit / Pfleget den Fremdenverkehr; Mein Weltuntergang / Der Neger III. Ich habe ihn gefunden; Die Schuldigkeit; Mitteilungen aus unterrichteten Kreisen. — Der sterbende Mensch.

Rezension der Neuen Badischen Landeszeitung

.... Seine Formphantasie beschwingt die Realien und hebt sie in eine Sphäre, in der die Tore zum Visionären sich entriegeln und in der deshalb auch das Illusionäre der Gestaltung das Tatsächliche wertlos und gleichgiltig macht. Kraus’ Kunst der Darstellung verschwendet sich an die kleinen und kleinsten Vorwürfe, formt aber aus ihnen Gebilde, die so lebenskräftig sind, daß man ihres Ursprungs und Anlasses vergißt. Und daß man sie als Resultate und Aufgipfelungen einer ganzen Zeit empfindet.

Rezension der Neuen Badischen Landeszeitung

[...]Bezwungen und darum bezwingend fließen ihm die Sätze aus der Feder — blitzblank; Waffe, Licht und Spiegel! [...] Diese Wirkung wird noch deutlicher, wenn Kraus sein geschriebenes Wort liest. Dann beglaubigt das gesprochene Wort das geschriebene und legitimiert es vollends als eigenbürtigste und souveränste Potenz. Und dann fühlt man auch, bis zu welchen Erschütterungen die Blutsverbindung dieses Künstlers mit seiner Sprachform und ihrem Ideengehalt reicht [...] Das ist vielleicht einer der sinnfälligsten Beweise für die unerhörte schriftstellerische Vitalität Kraus’.

Rezension des Mannheimer Tageblatt

[...] Es ist kaum möglich, eine Formel für die Erscheinung dieses zornmütigen Lichtsuchers und Lichtbringers zu finden, der auf den sehr bürgerlichen Namen Karl Kraus hört, — einen Namen, den gewiß Hunderte außer ihm führen und der seit fünfzehn Jahren wie ein Kampfruf klingt. Ein Satiriker? Nein! Ein Volkserzieher! [...] Er hatte das wundervolle Instrument seiner Sprache — und seit ein paar Jahren reißt er zu den Wirkungen des gedruckten Wortes auch die des gesprochenen an sich. Die jungen Menschen in Österreich gehören fast alle ihm.

Rezension des Mannheimer Tageblatt

[...] Die Stunde bei ihm wurde zur Feierstunde. Die wenigen, die gekommen waren, werden sie sicher in dankbarer Erinnerung behalten; für mich wenigstens wurden seine Erkenntnisse und Bekenntnisse zu einer Offenbarung und seine Art, vorzutragen, zu einem Erlebnis. M. T.

[Mannheimer Tageblatt, 16.02.1914 zitiert in: Die Fackel, 395-397, 28.03.1914, 40] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

 

Rezension der Volksstimme Mannheim

[...] Aus Alltäglichkeit, Zeitungen, einlaufenden Briefen, Straßengeschrei schöpft dieser Redner, dieser Dichter, dieser Künstler der Sprache ein gewaltiges Werk von selbstverständlichem Spott, der aber durch die Wahrheit der Tatsachen zum entsetzlichen Ernst wird. Wo wir anfänglich noch lachten, erstarrt allmählich unsere Miene zur Scham, einer Zeit anzugehören, die den Anspruch auf Kultur macht, die aber ihre Kultur gerade ins Gegenteil umsetzt.

Rezension der Pfälzischen Post

[...] Der Besuch war eine Blamage für Mannheim, für dasselbe Mannheim, das auf die Ankündigung des persönlichen Auftretens Frank Wedekinds hereinfiel und bei der Aufführung des »Erdgeist« das Theater bis auf den letzten Platz füllte, weil es eine Sensation erwartete. Goethe kannte das Publikum und nannte es halb kalt und halb roh. Es wußte auch mit Karl Kraus nichts anzufangen.

Rezension der Pfälzischen Rundschau

Die Karl Kraus-Morgenfeier am gestrigen Vormittag war, was den kläglichen Besuch anbetrifft, eine Blamage für Mannheim, für die wenigen Teilnehmer war die Feier jedoch ein hoher geistiger Genuß. [...] Aus dem Pathos, mit dem er vorträgt, aus dem sich steigernden Stimmaufwand, mit dem er seine Anklagen hinausschleudert, lodert innere Glut, heftigster Ingrimm, überzeugtester Glauben. Eine überaus starke Persönlichkeit zweifellos, deren überragende geistige Überlegenheit sich jedem, der ihn hörte, mitteilte und die sich jedem als ein Charakter von ungewöhnlicher Qualität einprägt. -r.