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THEATER DER DICHTUNG
Darsteller: Karl Kraus
Zum ersten Mal
Eisenbahnheiraten
oder
Wien, Neustadt, Brünn
Posse mit Gesang in drei Akten (nach dem Vaudeville »Paris, Orléans et Rouen« von Bayard und Varin) von Johann Nestroy,
nach der Schroll’schen Ausgabe*) eingerichtet von Karl Kraus, mit improvisierter Musik
Erstaufführung am 3. Januar 1844 im Theater an der Wien zum Vorteile Nestroys
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Der erste Akt spielt in Wien, der zweite in Neustadt, der dritte in Brünn.
Begleitung: Franz Mittler.
*) Vor der Lektüre des Fehldrucks bei Bonz, Stuttgart, wird gewarnt.
»Eisenbahnheiraten«
war eines der erfolgreichsten Werke Nestroys, für das die ‚Fackel‘ schon Ende 1901, zur Säkular-Feier und nach einem feuilletonistischen Übergriff Theodor Herzls, eingetreten ist. (Siehe III., Nr. 88: »Der Zerrissene, causa Herzl contra Nestroy«.)
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Um Reinhardt
scharte sich eine österreichische Kolonie. Als Korngold in Los Angeles ein Konzert dirigierte, in dessen Programm auch Wiener Lieder standen, füllten sich des Professors Augen urplötzlich mit Tränen. Das war bei den ersten Klängen des Radetzkymarsches …
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Außen- und Innenpolitik
Seite 1, Außen:
— — Laval habe sich in Moskau als Mann aus dem Volke eingeführt, der sein Auvergner Hochlandtum nicht verleugne und von den Ansichten und Wünschen des Durchschnittsfranzosen mehr verstehe als ein anderes Mitglied des französischen Kabinetts. Man erzählt in diesem Zusammenhang, Stalin habe bei seiner ersten Begegnung mit Laval im Kreml zum französischen Außenminister gesagt: »Wir wollen aufrichtig mit einander sprechen, denn ich bin kein Diplomat«. Darauf soll Laval erwidert haben: »Das gefällt mir, ich bin auch keiner«.
Seite 2, Innen:
Wie die »Nár. Pol.« erzählt, hat sich im Wahlkampf in Karpathorußland eine heitere Episode abgespielt. In Tačevo hatte der Kandidat der Gewerbepartei Dr. Spiegel eine Versammlung einberufen. Einer seiner politischen Gegner wollte ihm einen Streich spielen, fing in Massen Maikäfer und steckte sie in einen großen Sack. Diesen brachte er unbemerkt in das Versammlungslokal, knüpfte dort in einer Ecke den Sack auf und verschwand. Die Folge war, daß die Versammlung nicht abgehalten werden konnte.
Daß wir endlich keine Diplomaten mehr sind und daß Versammlungen nicht abgehalten werden können, ist eine schöne Neuerung. Leider nur dürften auch die heiteren Episoden, die sich da abspielen, zu Tragödien werden, die vielen Männern des Volkes das Leben kosten.
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Paneuropa und Panamerika
— — strebt eine Hebung des Außenhandels durch ein System von Außenhandelsbanken an. Der Zweck dieser Außenhandelsbanken wäre die Herstellung einer dynamischen Übereinstimmung der Zahlungen nach dem Ausland mit den Zahlungen aus dem Auslande, um die Währungen vom Einfluß der Schwankungen der Handelsbilanz zu befreien. — — will eine paneuropäische Handelsvertragsstelle damit beauftragen, einen für Paneuropa geltenden Mustertypus von Handelsverträgen auf- zustellen. — — fordert eine Rückkehr zur Zollpolitik, da die Verbotspolitik auf der ganzen Linie versagt habe. — — sieht das Ziel der modernen Handelspolitik in einer Beschränkung der unbedingten Meistbegünstigungsklausel. — — befaßte sich eingehend mit den Koordinationsmethoden der schon abgeschlossenen handelspolitischen Pakte.— — verwahrte sich dagegen, das Präferenzsystem an politischen Gesichtspunkten zu richten. Präferenzen sollten nur zwischen jenen Staaten in Geltung stehen, die in regem wirtschaftlichen Verkehr miteinander sind. — — sprach sich für die Schaffung zwischenstaatlich wirkender Kreditinstitutionen aus. Als ein das internationale Vertrauen festigendes Element empfiehlt die Kommission die gerichtliche Durchsetzbarkeit von auf Grammgold lautenden Kreditverträgen, welche die transferierbare Verwendung des exekutiv erzielten Erlöses zwecks voller Vertragserfüllung dann zu gewährleisten hätten, wenn der private oder öffentliche Kreditvertrag vor oder nach seinem Abschluß von der Zentralbank des betreffenden Staates genehmigt worden ist; man gab der Hoffnung Ausdruck, daß hiedurch auch die mehrseitige Ausgleichung von Clearingspitzen statt der jetzt vorherrschenden bloß zweiseitigen wesentlich gefördert werden kann.
Von all dem verstehe ich, Mann aus dem Volke bezw. von der Straße, nichts, vollends der letzte Vorschlag verwirrt mich. In all dem mag ein Grammgold Erkenntnis enthalten sein, wovon die Menschheit nicht satt wird. Auf den ersten Blick praktikabler erscheint mir ein panamerikanischer Gedanke, der für den Fall, daß sie durch Giftgas zugrundegehen sollte, mittels der sogenannten »Roerich-Konvention« wenigstens die Kunstdenkmäler den Gefahren eines Luftangriffs entrücken will. Die Panamerikanische Konferenz hat nämlich 1933 auf Betreiben des Herrn Roerich eine Entschließung gefaßt, die die seinen Namen tragende Konvention empfiehlt, welcher angeblich bereits Venezuela, St. Salvador und last not least Panama beigetreten sind. Aus dem ‚Prager Tagblatt‘, der miesesten Zeitung von Paneuropa, die es mit Panamerika verwechselt und für die Roerich-Konvention eine Lanze (Waffe älteren Genres) einlegt, erfährt man, daß Herr Roerich ein wohlmeinender Kunstsammler und Mäzen ist, der sich um seine und die sonstigen Schätze der Menschheit nicht mit Unrecht besorgt zeigt. Wie sie auch sich selber retten könnte? Nichts einfacher als das. Die Roerich-Konvention wird der Gefahr, mit der ein Luftbombardement die Kunstdenkmäler bedroht, dadurch begegnen,
daß sie die Vertragsstaaten verpflichtet, die der Kunst, dem Unterricht, der Erziehung und Kultur gewidmeten Gebäude und ihr Personal in einem Kriege als neutral zu betrachten und sie zu respektieren und zu schützen.
Panamerika, du hast es besser als unser Kontinent, das alte und noch immer zu Diskussionen neigende. Wenn aber Paneuropa, das sich bis zum Kampf der Chemikalien und Bakterien mit Meistbegünstigungsklauseln und Präferenzen die Zeit vertreibt, dem Beispiel Panamerikas folgen sollte, so wird das Personal des Louvre oder der Albertina es gut haben und hoffentlich so barmherzig sein, im kritischen Augenblick auch Kunstliebhabern den Eintritt nicht zu versagen. Ob ich mich ins Burgtheater (Kultur) flüchten werde, ist zweifelhaft, da »Lear« gegeben werden könnte und ich mir nicht vom Namensvetter zurufen ließe:
Du fliehst den Bären;
Doch führte dich die Flucht zur brüll’nden See,
Liefst du dem Bären in den Schlund.
Eines ist sicher: Das Gehirn der Menschheit, das diese Roerich-Konvention ausgeheckt hat und etliche Leitartikel über sie erträgt, besteht längst aus Papier. Aber ins Gebäude des ‚Prager Tag- blatts‘, das gleichfalls der Kultur gewidmet ist (und dem Unterricht immerhin dort, wo es sich um Gymnastik handelt), gehe ich nicht! Des Personales wegen.
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Zwangsläufig letzten Endes
16. Mai:
— — Es ist eine bekannte Tatsache: Es gibt keine Staatsform und keine politische Gestaltung irgend eines Staates, sei er wo immer, wo nicht letzten Endes das Schicksal von einigen wenigen Wissenden wirklich bestimmt wird ....
17. Mai:
— — Hier liegen Gegensätze vor, die letzten Endes ihre Begründung nur in der künstlichen Absperrung des Bedarfes vom Angebot haben. Hier müssen letzten Endes Brücken gefunden werden, um diese Unmöglichkeiten zu beseitigen ....
— — Diese Gedankengänge schließen die Notwendigkeit in sich, daß darüber hinausgehend immer und immer wiederholt und immer deutlicher betont werde, daß es vielfach unausdenkbar bleibt, daß .... neuerdings einer Entwicklung unaufhaltsam entgegengegangen werden sollte, die letzten Endes nur mit einer Vernichtung ungeheurer kultureller Werte endigen kann .... Es scheint mir, daß aus diesem Wissen und Wollen zwangsläufig der Glaube .... herauswächst, und zwar über das System von Pakten und Verträgen .... hinaus.
— — Wir müssen die Auffassung vertreten, daß .... der Stolz einer Nation, der Stolz eines Volkstums letzten Endes nicht die Faust, sondern immer das Gewissen und der Kopf bleiben müssen.
— — Da kommt es darauf an, ob .... all dieses letzten Endes einmal zur Zerstörung und Vernichtung oder zum Aufbau und zum Fortschritt bestimmt ist .... Wir glauben daran, daß letzten Endes die Vernunft Siegerin bleibt ....
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