685. Vorlesung am 31.03.1935

Wien
31.03.1935

[Karl Kraus las im Kleinen Musikvereinssaal am] 31. März:

Zum ersten Mal

Der Verschwender 

Original-Zaubermärchen in drei Akten von Ferdinand Raimund, eingerichtet von Karl Kraus (mit Änderung von 26 Versen)

Musik von Konradin Kreutzer

[Die Fackel 909-911, 05.1935, 5] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Programmzettel

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THEATER DER DICHTUNG

Darsteller: Karl Kraus

Zum ersten Mal:

Der Verschwender

Original-Zaubermärchen in drei Akten von Ferdinand Raimund, eingerichtet von Karl Kraus (mit Änderung von 24 Versen)

Musik von Konradin Kreutzer

Theaterzettel einer Wohltätigkeits-Vorstellung zum Vortheile der Witwe des Komikers Tomaselli, Carltheater, 18. Januar 1863, mittags ½1 Uhr

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Mehr Glanz und Größe dürften noch nie auf einer Szene versammelt gewesen sein; Beckmann ist jener bedeutende Berliner Charakterkomiker, dessen Titus Feuerfuchs (vor seinem Burgtheaterengagement) Kierkegaard beschreibt und dessen Knieriem über den Nestroys gestellt wurde. (Die Wildauer gehörte beiden Hofbühnen an, Mayerhofer ist der berühmte Opernbassist.) Die erste Aufführung des »Verschwender« mit Burgschauspielern, am 18. April 1844 im Josefstädter Theater, war veranstaltet von Ludwig Löwe, der den Flottwell gab, mit Dlle. Anschütz als Cheristane, der Wildauer als Rosa und Wothe als Dumont, neben Wallner als Valentin. Eine ähnliche »Galavorstellung« mit Sonnenthal, Lewinsky, Meixner, Frau Haizinger und Frl. Janisch (Cheristane), neben der Geistinger als Rosa und Friese (statt des angekündigten Baumeister) als Valentin, fand am 28. Dezember 1872 im Theater an der Wien statt. In der Uraufführung — in der Josefstadt am 20. Februar 1834 — hatte Raimund den Valentin gespielt. In das Burgtheaterrepertoire ging das Werk, nach der Erstaufführung im Opernhaus 1885, mit Sonnenthal und Lewinsky, Frau Schratt als Rosa und Tyrolt als Valentin über. Um die Jahrhundertwende hat Kainz in dieser Rolle versagt, deren vollkommener Darsteller in jener Zeit Girardi war, unvergeßlich als junger wie als alternder Valentin, ergreifend im Hobellied — auch mit der jedesmaligen Scheu, die Strophe vom Tod zur Höhe seiner Gestaltung zu führen.

Mit dem Werk verknüpft sich die persönliche Erinnerung des Vortragenden, daß er etwa 1891 in der öffentlichen Vorstellung einer Schauspielschule (als Gast) den Wolf im dritten Akt gespielt hat.

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Die Aufnahme des »Verschwender« in das Repertoire des Theaters der Dichtung — einer längst gehegten Absicht entstammend — erfolgte derzeit im Vertrauen auf die Unmöglichkeit einer Aufführung in Röbbelings Burgtheater. Den eigentlichen Anstoß gaben die Bilder, die Herrn Hermann Thimig in den drei Stadien des Hobelliedes zeigen. Eine Remedur ist nun freilich für diesen edelsten der verletzten Teile und auch wegen der Seichtheit des Anfangs geboten, während das Spiel des Darstellers gerade im dritten Akt, trotz zeit- und ortswidrigem Bart, eine erfreuliche Überraschung bedeutet, wie überhaupt durch Regie und Darstellung — mit einigen Ausnahmen — dem Werk nicht wesentlich nahegetreten wird (ganz gewiß nicht durch die stilgerechte Rosa der Frau Seidler, Herrn Höbling als Azur und Herrn Huber als Sockel). — Völlig anders steht es mit dem erschütternd trostlosen »König Lear«, weniger Tragödie als Katastrophe, dessen Zusammenhang mit Shakespeare, in einer Reihe regieverlassener Begabungen, höchstens drei Episodisten behaupten. Im Ganzen ein durch Herrn Werner Krauß »zertrümmert Meisterstück der Schöpfung«, dessen Wiederherstellung sich als unerläßlich erweist.

Aus dem Burgtheaterprogramm

Der Inszenierungsgedanke für die Aufführung von »König Lear« von Hermann Röbbeling

Das leidenschaftlichste, bis an den innersten Kern des Menschen gehende und daher grandioseste Drama der Weltliteratur ist wohl »König Lear«. Shakespeare wählte als Schauplatz das sagenhafte, heidnische Nordland, in dem christliche Zucht und Sitte ihren mildernden, veredelnden Einfluß auf die Menschen noch nicht geltend gemacht haben, wo die Leidenschaften noch ungezügelt in ihrer vollen ursprünglichen Wildheit einherbrausen. Lear selbst, ein leidenschaftlicher Despot, der ein Menschenleben hindurch ein Land beherrschte, keinen Widerspruch kannte und seine Wünsche sogleich erfüllt sah, erfährt das erste »Nein« in seinem Leben von seiner Lieblingstochter Cordelia in dem Augenblick, als er sein Reich und seine Herrschaft an seine Töchter verschenken will. Der Widerspruch Cordelias bringt ihn so außer Fassung, daß er ein Verständnis für das tiefe, wahre Gefühl, das aus den schlichten Worten der Tochter spricht, so wie für die heuchlerisch übertriebenen Schmeicheleien der beiden anderen Töchter gar nicht aufkommen läßt. Voll leidenschaftlichen Zornes enterbt und verbannt er Cordelia, ohne die Folgen dieser seiner Handlung auch nur im geringsten zu übersehen. Die Leidenschaft als Exposition einer Tragödie! Diese selbst erfüllt stärkstes dramatisches Leben: die Undankbarkeit und Herzlosigkeit der beiden reich beschenkten Töchter gegen den Vater, die ihn in den Wahnsinn treiben, ihre Falschheit und Lasterhaftigkeit, die bis zum Schwestermord führt, schließlich der Kampf des schurkischen, herrschsüchtigen Bastards Edmund (ein Shakespearescher Franz Moor) gegen den Bruder und Vater, Verstoßung des Bruders, Blendung des Vaters, zum Schlusse sogar ein Anschlag auf das Leben Cordelias, der ihren Tod zur Folge hat. Im Mittelpunkt der vom Wahnsinn gepeitschte Lear, eine poetische Krankengeschichte, die aus der dämonischen Allgewalt der Leidenschaften herauswächst, erschütternd wahr, echt bis ins Kleinste, gigantisch in ihrem Ausmaße, wie sie nur ein Shakespeare erfinden kann. Und dies schrieb der Dichter in einer Zeit, in der  Wahnsinnige als Hexen verbrannt, als Besessene ausgestoßen wurden.

Der Regisseur des Werkes steht zwar vor einer großen Aufgabe, doch braucht er nur den Absichten des Dichters zu folgen, die aus jedem Wort, aus jeder Zeile klar hervorgehen. Er muß Herz und Verständnis für den tiefen menschlichen Gehalt des Dichters haben. Er muß dem Dichter die erforderliche Umwelt schaffen und den Darsteller an die Tiefen des Dramas heranführen. Selbstgefällige Regiekünste sind von Übel; wie die Religion nicht mit dem Verstand zu erfassen ist, so ist auch ein solches Werk nur mit Empfindung und Gefühl auf die Bühne zu stellen. Wenn Edgar seinem schwer geprüften, lebensmüden Vater zuruft: »Dulden muß der Mensch, sein Scheiden aus der Welt wie seine Ankunft, reif sein ist alles«, bleibt für den Regisseur nichts zu inszenieren, hier gibt es keine Auffassungsverschiedenheiten, nur Ehrfurcht vor dem Genie des Dichters und Bescheidenheit gegenüber der eigenen Arbeit.

Aus der Reichspost

Burgtheaterdirektor Röbbeling in Budapest. Angesichts des bevorstehenden Eintreffens des Burgtheaterdirektors Röbbeling, der als Gastregisseur die Proben zu Schillers »Maria Stuart« im Nationaltheater leiten wird, befaßt sich der »Pester Lloyd« in einem längeren Artikel mit der Persönlichkeit und dem Wirken Röbbelings. Das Blatt erblickt in Röbbelings hoher Funktion als Gastregisseur einen bedeutungsvollen Akt des geistigen Zusammenwirkens mit Österreich und den Ausdruck einer Harmonie, die man von ungarischer Seite seit der Trennung stets angestrebt habe. Österreichs geistige Welt entsende einen ihrer repräsentativsten Vertreter nach Ungarn, eine Kundgebung, die sich gegen kein anderes Volk richte.

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