[Karl Kraus las im Breitkopf-Saal am] 21. März, 8 Uhr:
Pariser Leben
Begleitung: Georg Knepler
[Die Fackel 852-856, 05.1931, 54] - zitiert nach Austrian Academy Corpus
Programmzettel
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THEATER DER DICHTUNG
Zu Ehren Offenbachs
Pariser Leben
Burleske Operette in 4 Akten (5 Bildern) von Jacques Offenbach
Text von Meihac und Halévy
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Nach dem zweiten und nach dem dritten Bild eine Pause
Begleitung: Georg Knepler
Bechstein-Flügel
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Die »Schändung von Pariser Leben« (Verjazzung durch Herrn Salomon und Verschmierung durch Herrn Scher), die in Nr. 806—809 (S. 49 f), Nr. 811—819 (S. 59 f) und Nr. 827—833 (S. 53—66) der Fackel stigmatisiert war, hat sich gleichwohl noch auf einer Breslauer Bühne zugetragen, und auf derselben, die sich vorher für ein Programmheft um den Nachdruck des Aufsatzes »Offenbach-Renaissance« beworben hatte. Der Tat ist die Strafe auf dem Fuße gefolgt. Der Entsühnung des Werkes dient — wie ehedem in München — der Vortrag, der auf Wunsch bestürzter Tatzeugen erfolgt. »Zur augenfälligen Darstellung dessen, was in Deutschland möglich und was weit schlimmer ist als ein Plagiat« (wie es dem Bearbeiter Scher zum Vorwurf gemacht wurde) diente schon ehedem und dient auch heute wieder der folgende Nachweis einer Originalleistung:
[Folgen die Pendants des Metella-Briefes.]
Der Vortragende hat einmal beide Fassungen vorgetragen, wobei er sich die Anweisung gab:
Zuerst lese Metella ihren Brief, und dann lese sie ihn noch einmal, aber da schweige die Musik zu dem eingemischten Greuel.
Es war eine erschütternde Wirkung. Unvorstellbar, daß danach eine Bühne es noch wagen konnte, die rechte Kolumne einer Hörerschaft anzubieten. Der Aufsatz »Die Schändung von ‚Pariser Leben‘« schloß mit den Worten:
Die Einführung von Kartoffeln, Bier und Wollstrumpf — im Kontrast der Höschen —, der Herr Papa und die Metellá: das dürfte wohl für ein weiteres Säkulum den »Boche« vor der Pariser Welt hinreichend beglaubigen. Aber es wird noch überboten von der Talentlosigkeit, die die schmerzlich süße Pause und Wendung in der Stelle »Dann trotzten Sie — doch ich vergaß beinah, was dieses Briefes eigentlicher Grund« zertrampelt hat zu einem »Doch nun genug, mein Kind, Sie wissens ja, jetzt kommt des
Briefes eigentlicher Grund«. Tönt da nicht der deutsche ‚Junggeselle‘, wie er leibt und lebt, hinein, mit seinem Bedürfnis, »mal Wein-, mal Bierstimmung« serviert zu kriegen, jener gottverlassene Kulturträger, der schon weiß, daß die Geschlechter nicht mehr Wollstrumpf und Röllchen tragen! Und wie pariserisch er sich mit den seidenen Höschen vorkommt! Aber man fragt sich, was man von dieser ganzen Niederlage im Weltkrieg kulturell hat, wenn eben die Sorte, die ihn bewirkt hat und die mit jedem Atemzug Takt und Geschmack der Welt beleidigt, unbesiegbar mit ihrer blanken blanken Heiterkeit im deutschen Geistesleben wirksam bleibt. Ausgerechnet an der Metella mußte sich der Kommis vergreifen! In dieser Trostlosigkeit fragt man sich, warum, warum der Herr Scher, wenn er schon drei Viertel genommen hat, nicht auch noch den Rest nehmen konnte und ob es denn gar keinen Schutz gegen Ehrlichkeit gibt! Daß er mit der Annektierung dessen, was Treumann geleistet hat, mehr als dieser an Tantiemen verdient, mag ja hingehen. Aber daß Theaterunternehmer, die vom Original keine Ahnung haben und die es gratis haben könnten, auch noch für die mutwillige Zerstörung und Bedreckung des Restes zahlen, ist erschütternd. Ich schließe fast mit Tränen und knirsche mit den Zähnen als Ihr getreuer —.
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