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Pariser Leben.
Burleske Operette in 4 Akten (5 Bildern) von Jacques Offenbach.
Text von Meihac und Halévy
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Mit neuen Zeitstrophen
Begleitung: Friedrich Hollaender
(Konzertflügel: Grotrian-Steinweg)
Die Schändung von »Pariser Leben«
Eine Ausgrabung
An Th. Th. Heine
Hochgeehrter Herr!
Sie haben in Nr. 10 des ‚Simplicissimus‘ unter dem Titel »Moderne Schriftstellereien« eine Serie von Bildern veröffentlicht, deren eines vermutlich Herrn Karl Kraus darstellt, wie er einer anderen Gestalt verwehren will, sich am Grabe Jacques Offenbachs zu schaffen zu machen, indem er ihr zuruft: »Was — den wollen Sie ausgraben? Nichts da — den mach’ ich lebendig!«
Herr Karl Kraus läßt Ihnen sein Bedauern darüber aussprechen, daß Sie mit diesem Text Ihre außerordentliche Kunst in den Dienst einer schlechten Sache gestellt haben. Er möchte sich keineswegs dagegen wenden, daß Sie seinen Anspruch, Offenbach »lebendig zu machen«, komisch finden, und es ist bloß nicht richtig, daß er irgendeinem andern verwehren will, desgleichen zu tun, wenn er es vermag — ganz abgesehn davon, daß Offenbach nicht lebendig gemacht werden könnte, wenn er es nicht wäre, und eben nur das Schicksal erleidet, von den Bühnen totgemacht zu werden. Eines der krassesten Beispiele hiefür bildet das Münchner Unternehmen, dessen Vertreter von Ihnen in der Mission dargestellt wird, Offenbach »auszugraben«. Die Gestalt, die etwas dagegen hat, erlaubt sich, Sie bei der Metapher zu nehmen und Ihnen zu sagen, daß das Ausgraben hier dem Zweck der Leichenschändung gedient hat — soweit die Verjazzung der Offenbach’schen Musik durch Herrn Salomon in Betracht kommt wie die Verschandelung des Treumann’schen Textes von »Pariser Leben«, vor allem des berühmten Metella-Briefes, durch Herrn Scher — und im besonderen Fall des Mannes, den Sie am Werke vorführen, auch dem Zweck des Leichenraubes, indem der Täter fremdes Geistesgut nicht nur mißbraucht, sondern sich auch angeeignet hat — eine Handlung, die Sie in dem be- nachbarten Bilde an dem weit geringfügigeren Beispiel einer ver- wendeten Übersetzung stigmatisieren und die nach österreichischem Urheberrecht strafbar ist. Eben diesem Tun hat Herr Karl Kraus gewehrt, und ohne den Text Ihrer Zeichnung wäre deren Sinn völlig unmißverständlich und angebracht. Sie mögen danach selbst beurteilen, welche Tätigkeit der handelnden Figuren, die des Ausgrabers oder die des Lebendigmachers, der doch nur gegen Frevel protestiert hat, in die Kategorie einer »modernen Schriftstellerei« gehört, und ob sich der Sinn Ihrer Zeichnung nicht mit Unrecht gegen die Gestalt wendet, die von ihrem Handeln keine Tantiemen bezieht.
Herr Karl Kraus wiederholt, daß Sie Ihre außerordentliche Kunst in den Dienst einer schlechten Sache gestellt haben, geradezu in den Dienst des Kaufmanns mit Konterbande — was keinesfalls durch die Erwägung gemildert würde, daß dieser zufällig Chefredakteur des Blattes ist, dem Sie das Bild gewidmet haben.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochschätzung
Der Verlag der Fackel
I
Gesprochen in Wien am 14. und in Berlin am 25. November*)
Zuschrift an die Firma Bote & Bock:
Wien, am 18. April 1929.
Sehr geehrte Herren!
Blättermeldungen, wonach Sie »eine Neubearbeitung von Offenbachs Operette ‚Pariser Leben‘ von Peter Scher« in Ihren Bühnenvertrieb übernommen haben, veranlassen Herrn K. K., mich zu ersuchen, Ihnen die Abschrift eines Schreibens zukommen zu lassen, das ich auf seinen Wunsch an Herrn Direktor und Rechtsanwalt Dr. Kaufmann in München gerichtet habe. Er fühlt sich hiezu umsomehr bewogen, als Sie sich in der ihm bekannten Zuschrift an das Theater am Schiffbauerdamm gelegentlich der Erwägung, seine Bearbeitung der Offenbach’schen Operette »Die Briganten« aufzuführen, ausdrücklich zu den Prinzipien, von denen diese Bearbeitung geleitet ist und die jedem Versuch einer modischen Verschandelung widerstreben, bekannt haben. Herr K. K. hat in München durch den Vortrag des Originalwerkes (»Pariser Leben«) in der von ihm revidierten Treumann’schen Übersetzung protestiert und gegen die Verjazzung auf dem Plakat vermerken lassen, daß der Vortrag »zu Ehren Offenbachs« erfolge. Was mit dem Text unternommen wurde, davon können Sie sich als Verleger der Treumann’schen Übersetzung am besten durch Augenschein selbst überzeugen. Ich möchte Sie insbesondere auf den Tatbestand der Nichtnennung des Namens Treumann aufmerksam machen, die bei einem Versuche, diese angebliche Neubearbeitung an einer österreichischen Bühne zur Aufführung zu bringen, strafrechtlich verfolgbar wäre. Herr K. K. nimmt an, daß Ihnen der Sachverhalt nicht gegenwärtig war und daß Sie nicht nur als Wahrer der Rechte der Nachkommen Halévys, sondern auch aus dem kulturellen Beweggrunde des Respektes vor Offenbach den Unfug, der jetzt an seinen Meisterwerken unternommen wird, nicht fördern, sondern im Gegenteil zu verhindern wissen werden. — —
Berlin, den 1. Mai 1929.
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt!
Zu Ihrem werten Schreiben mit der Abschrift Ihres Briefes vom 7. März d. J. an Herrn Rechtsanwalt Kaufmann erlauben wir uns folgendes zu bemerken.
Es liegt unserer Ansicht nach seitens der Herren Scher und Salomon keinesfalls die Absicht einer Täuschung des Publikums vor. Daß die Herren den Namen Karl Treumann bei ihren Aufführungen nicht genannt haben, ist sicherlich ein Versehen, das bei späteren Aufführungen dieser Bearbeitung sich nicht wiederholen dürfte. Die Verfasser haben niemals ein Hehl daraus gemacht, daß sie die vorhandene und in unserem Verlage erschienene Übersetzung benutzt haben. Die Münchener Bühne hat auch das Aufführungsrecht dieser Originalbearbeitung ordnungsgemäß von uns erworben.
An sich teilen wir, wie Herr K. K. richtig bemerkt, den Stand- punkt, daß man die Offenbach’schen Werke nur mit großer Vorsicht und Pietät bearbeiten sollte.
Wir befinden uns aber hierbei in einer etwas schwierigen Lage, da es uns nicht gerechtfertigt erscheint, unsererseits Bearbeitern, die sich von einer vollständigen Modernisierung ein großes Geschäft versprechen, die Benutzung des Originaltextes unmöglich zu machen. Genau so, wie wir es nicht für richtig halten würden, wenn wir Herrn K. K. an der Aufführung seiner sicher künstlerisch hochstehenden Bearbeitung nur aus dem Grunde verhindern wollten, daß wir juristisch hierzu in der Lage sind. Wenn die Bearbeitungen von Herrn K. von den Bühnen verlangt werden, so werden wir auch nur die Prozente beanspruchen, die uns für den Originaltext angemessen erscheinen, und es im übrigen Herrn K. K. überlassen, für seine Bearbeitung sich von den Theatern honorieren zu lassen.
Wir haben, da niemand anders Bearbeitungen der Offenbach’schen Operetten in Deutschland und Österreich (ausgenommen Wien) vergeben kann, auch die Bearbeitung von Scher und Salomon als solche genehmigt und vergeben die Aufführungsrechte dieser Bearbeitung.
Letzten Endes ist unserer Ansicht nach das Publikum der oberste Richter darüber, welche Bearbeitung eine Existenzberechtigung hat. Die Tatsache, daß die Münchener Aufführungen ein gutes finanzielles Ergebnis erzielt haben und daß eine große Bühne wie die Städtischen Theater in Frankfurt a/Main die Bearbeitung sofort erworben hat, läßt doch darauf schließen, daß die Ansicht des Herrn K. K., »es handle sich um eine grobe Verballhornung« nicht überall geteilt wird.
Mit vorzüglicher Hochachtung
ergebenst
Ed. Bote & G. Bock.
Aber doch zum Beispiel von einem der dem Vertreter der Ansicht feindlichsten Blätter, vom Neuen Wiener Tagblatt (16. Mai), dem aus München geschrieben wurde:
Daß dabei des öfteren die Technik das Kunstwerk umbringt, haben wir erst vor kurzem in den Münchner Kammerspielen erlebt, anläßlich der Aufführung von Offenbachs »Pariser Leben«, aus dem Peter Scher in Simplicissimus-Manier eine Posse »Pariser Luft« gemacht hatte. Falckenbergs überspitzte Regiekunststückchen hätten einem Filmregisseur zur Ehre gereichen können, und die Betonung des rein Technischen zeigte sich auch in der Verballhornung der Musik von Offenbach, die grausam verjazzt wurde. Das war nicht mehr zu ertragen, und der Abend verlief zwischen Gähnen, Langweile und Ärger. — —
Die Beantwortung, durch den Verlag der Fackel, erfolgt öffentlich:
Wenn bei etwaigen späteren Aufführungen der sogenannten Bearbeitung von »Pariser Leben« durch die Herren Scher und Salomon der Name Carl Treumann genannt werden wird, so wird sicherlich das Delikt nach dem zitierten Strafparagraphen, der ja übrigens nur für Österreich Geltung hat, nicht vorliegen. Auf welche Art es ausgedrückt war, daß, wie Sie schreiben, »die Verfasser niemals ein Hehl daraus gemacht haben, daß sie die vorhandene Übersetzung benutzt haben«, entzieht sich unserer Kenntnis. Auf dem Theaterzettel der Münchner Aufführungen haben sie jedenfalls ein Hehl daraus gemacht, was freilich, da die Verhehlung in Deutschland begangen war, nicht belangt werden konnte. Es scheint da eine Verwechslung der Begriffe »kein Hehl machen« und »kein Hehl machen können« vorzuliegen. Wenn aber nunmehr die Angabe der Quelle nachgetragen werden soll, so wird auch für österreichische Bühnen kein gesetzliches Hindernis mehr be- stehen und gegen das Unternehmen — das heißt mehr gegen die Nichtbenutzung und mißbräuchliche Verwendung Offenbachs und Treumanns als gegen die Benutzung — nichts weiter als der kulturelle Protest vorzukehren sein. Wenn Sie »den Standpunkt teilen, daß man die Offenbach’schen Werke nur mit großer Vorsicht und Pietät bearbeiten sollte«, so möchten wir Ihnen sagen, daß die Zulassung einer Verjazzung der Offenbach’schen Musik und der totalen Verschneidung des grandiosen Rauschaktes wohl einem Verzicht auf diesen Standpunkt näher kommt als seiner Behauptung. Was aber den Text von »Pariser Luft« anlangt, so müßte Ihnen schon ein Blick in die Vergleichsstücke, die von Ihnen ehedem verlegte Treumann’sche Übersetzung und die nunmehr verlegte Scher’sche »Bearbeitung«, dartun, daß überhaupt keine solche vorliegt, daß gerade die abgestorbenen Partien wortwörtlich beibehalten sind und die Änderung lediglich — nebst der Eliminierung oder Vergröberung mißverstandener situationskomischer Pointen — in einer Verkrüppelung der Gesangstexte für Zwecke der Jazzmusik besteht und bei wortwörtlicher Verwendung der meisten Dialogstellen in einer Verwüstung des Restes, dem die fragwürdigen Lichter einer Münchner Lokalisierung durch Namen wie »Admiral Dimpfl« u. dgl. auf- gesetzt sind. Die Fassung des Metella-Briefes zeigt am erschreckendsten, was da dem Herrn Scher gelungen ist, der keine Ahnung von der Grazie dieser Partie hat, allem Anschein nach das Original weder je gesehen noch gehört hat und vermutlich erst durch Herrn Salomon in Offenbach eingeführt wurde. Die Metella-Briefarie übertrifft in der Treumann’schen Fassung, die über den bloßen Funktionswert des Gesangstextes hinaus dichterischen Wert hat, das französische Original. Alle Empfindung, die aus diesem Text einer unbeschreiblich süßen Musik zu der Gestalt des unsichtbaren Briefschreibers hinüberströmt, der in Wahrheit zum Träger der Szene wird, ist dank Herrn Scher dem Grauen vor einem Knotentum gewichen, vor dessen barbarischem Zugriff kein künstlerisches Gut geborgen scheint und das, wo es nur eine lyrische Spur wittert, ihr todsicher den Garaus macht. Der Ausdruck »grobe Verballhornung« ist nicht gebraucht worden; er erschiene viel zu zart für das, was da gewagt wurde. Daß die Musikerverbände gegen derlei nicht protestieren und daß sich Theaterdirektoren finden, die gegenüber dem vorhandenen Geistesgut der Treumann’schen Übersetzung solchen Untext übernehmen und dem Mund von Schauspielern zumuten, ist einfach ein Kulturskandal, der sich all dem, was jetzt in Deutschland und Österreich mit Offenbach geschieht, würdig anreiht. Wenn Sie »Bearbeitern, die sich von einer vollständigen Modernisierung ein großes Geschäft versprechen«, die Benutzung des Originaltextes nicht unmöglich machen wollen, so ist dies eine rein merkantile Erwägung, die Herrn K. K. natürlich gar nichts angeht. Er möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß hier von einer vollständigen Modernisierung nicht die Rede sein kann und daß der geschäftliche Erfolg, den gewisse Regiekünste leider heute erzielen, ganz genau so mit dem unangetasteten Treumann’schen Text zu erzielen wäre. Warum sollte
denn gerade die Einfügung eines Kartoffelmotivs in die Metella-Arie das Geschäft sichern? Ihr analogisierender Hinweis auf die Bearbeitungen des Herrn K. ist nicht ganz zutreffend. Diese sind für seinen Vortrag bestimmt, und »wenn sie von den Bühnen verlangt werden«, so bleibt noch die Frage offen, ob und unter welchen Sicherungen er solches Verlangen befriedigen würde. Daß Sie es ihm »überlassen, für seine Bearbeitungen sich von den Theatern honorieren zu lassen«, ist wohl eine Selbstverständlichkeit, die bisher zwar praktisch noch nicht in Erscheinung getreten ist, die aber doch nicht das geringste mit seinem Protest gegen die Offenbach-Schändungen zu tun hat. Seine Bearbeitertätigkeit besteht in nichts als in der Restaurierung, also Erhaltung eines unvergleichlichen Originals, und sein Wirken für Offenbach hat gar keinen höheren Zweck, als die Schändung zu verhindern oder doch zu brandmarken. Er weiß sehr wohl, daß niemand außer Ihnen das Recht hat, Bearbeitungen der Offenbach’schen Werke, das heißt soweit sie den Anteil der Halévyschen Erben berühren, an Bühnen zu vergeben. Eben aus diesem Grunde hat er sich bewogen gefühlt, Sie auch als Wahrer des geistigen Rechtes anzusprechen. Ihre Ansicht, daß »letzten Endes das Publikum oberster Richter« sei, welche Bearbeitung eine Existenzberechtigung habe, teilt er ganz und gar nicht, und daß die Städtischen Theater in Frankfurt a/M. die Bearbeitung des Herrn Scher »sofort erworben« haben, imponiert ihm wenig. Das gute finanzielle Ergebnis wäre noch besser, wenn in die Offenbach’sche Musik Einlagen der Herren Lehar und Walter Kollo aufgenommen würden und in die Handlung ein boxendes Känguruh. Daran, daß die Münchner Bühne »das Aufführungsrecht dieser Originalbearbeitung«, nämlich der Treumann’schen Übersetzung, »ordnungsgemäß von Ihnen erworben« hat, zweifeln wir keinen Augenblick. Sie meinen natürlich das Recht, sich des Halévy’schen Anteils, den Sie verwalten, zu bedienen, da ja Offenbach, Meilhac und Treumann zivilrechtlich frei und nur (in Österreich) gegen Beraubung strafrechtlich geschützt sind. Es wäre aber ohne Zweifel besser gewesen, wenn die Münchner Bühne eben die Originalbearbeitung, die sie ordnungsgemäß erworben hat, auch aufgeführt hätte. Herr K. wird nicht versäumen, bei seinem nächsten Pariser Aufenthalt die Erben Halévys zu befragen, ob der geschäftliche Erfolg, der in Deutschland mit der Besudelung der Werke erzielt wird, ihrem Geschmack und ihrem Gefühl entspricht. Sollte dies wider Erwarten der Fall sein, so würde es ihn noch immer nicht abhalten, für das Geistesrecht ihres Vorfahren und seiner ungeschützten Mitarbeiter mit Wort und Tat einzutreten.
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Herr Scher hat inzwischen an der Beschuldigung vorbeigeredet, indem er den Lesern eines Berliner Großmannblattes Dinge über mich erzählte, die von weit mehr Phantasie zeugen als seine Bearbeitung von »Pariser Leben«. Immerhin hat er aber in Frankfurt (wo der Dreck aufgeführt wurde und bei dieser entsetzlichen neudeutschen Kritik die Anerkennung des »Quirlenden« — bei »spritziger« Musik! — gefunden hat) auf dem Theaterzettel die Quelle Treumann angegeben, also ein Geständnis abgelegt. Das Journalgesindel von ganz Mitropa hat sich des »Falles Brecht« bemächtigt, weil der größte Schuft im ganzen Land der Denunziant der unter 600 Versen übernommenen 25 war. Kein Ton über den Totalraub an »Pariser Leben«, weil ich ihn zur Sprache brachte, und der Verüber bleibt Chefredakteur eines großen Witzblattes. Mehr als das: Herr Th. Th. Heine, dem der Sachverhalt vorgestellt wurde, erlaubt jenem, die Antwort selbst und mit folgendem Witz zu erteilen:
München, 10. Juni
Verehrter Fackel Verlag —
Ihr Brief vom 3. Juni hat Herrn Heine lebhaft interessiert und er bittet Sie, Ihrem Herrn Karl Kraus, den er besonders hochschätzt, seinen verbindlichsten Dank auszusprechen.
Hochachtungsvoll ergebenst
i. A. Peter Scher
Doch wenn Plündern den Staatsanwalt angeht, wir wollen im Gebiet kunstkritischer Untersuchung bleiben, und wir meinen, daß an geistigen Tatsachen auch der ‚Simplicissimus‘ nicht vorübergehen kann, mögen ihn gleich sein kriegsbeschädigtes Renommee und die Teilnahme an so vielen Wechselfällen des Geschicks nicht mehr gesinnungsmäßig verpflichten. Und zur augenfälligen Darstellung dessen, was in Deutschland möglich und was weit schlimmer ist als ein Plagiat, diene der folgende Nachweis einer Originalleistung. Zuerst lese Metella ihren Brief, und dann lese sie ihn noch einmal, aber da schweige die Musik zu dem eingemischten Greuel:
[Gegenüberstellung]
Die Einführung von Kartoffeln, Bier und Wollstrumpf — im Kontrast der Höschen —, der Herr Papa und die Metellá: das dürfte wohl für ein weiteres Säkulum den »Boche« vor der Pariser Welt hinreichend beglaubigen. Aber es wird noch überboten von der Talentlosigkeit, die die schmerzlich süße Pause und Wendung in der Stelle »Dann trotzten Sie — doch ich vergaß beinah, was dieses Briefes eigentlicher Grund« zertrampelt hat zu einem »Doch nun genug, mein Kind, Sie wissens ja, jetzt kommt des Briefes eigentlicher Grund«. Tönt da nicht der deutsche ‚Junggeselle‘, wie er leibt und lebt, hinein, mit seinem Bedürfnis, »mal Wein-, mal Bierstimmung« serviert zu kriegen, jener gottverlassene Kulturträger, der schon weiß, daß die Geschlechter nicht mehr Wollstrumpf und Röllchen tragen! Und wie pariserisch er sich mit den seidenen Höschen vorkommt! Aber man fragt sich, was man von dieser ganzen Niederlage im Weltkrieg kulturell hat, wenn eben die Sorte, die ihn bewirkt hat und die mit jedem Atemzug Takt und Geschmack der Welt beleidigt, unbesiegbar mit ihrer blanken blanken Heiterkeit im deutschen Geistesleben wirksam bleibt. Ausgerechnet an der Metella mußte sich der Kommis vergreifen! In dieser Trostlosigkeit fragt man sich, warum, warum der Herr Scher, wenn er schon drei Viertel genommen hat, nicht auch noch den Rest nehmen konnte und ob es denn gar keinen Schutz gegen Ehrlichkeit gibt! Daß er mit der Annektierung dessen, was Treumann geleistet hat, mehr als dieser an Tantiemen verdient, mag ja hingehen. Aber daß Theaterunternehmer, die vom Original keine Ahnung haben und die es gratis haben könnten, auch noch für die mutwillige Zerstörung und Bedreckung des Restes zahlen, ist erschütternd. Ich schließe fast mit Tränen und knirsche mit den Zähnen als Ihr getreuer —.
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