[Karl Kraus las im Festsaal des Architektenvereins am] 7. November:
I. Goethe: Helena. Für die Vorlesung gestrichen: Außer zahlreichen Versen und Strophen der größte Teil von Fausts Ansprache an die Heerführer, das Gespräch zwischen Phorkyas und dem Chor über Entstehung und Betragen des Euphorion und die Worte der Phorkyas über die Exuvien. Begleitmusik nach Angabe des Vortragenden.
II. Karl Kraus: Traumstück. Musik von Heinrich Jalowetz.
[Die Fackel 706-711, 12.1925, 93] - zitiert nach Austrian Academy Corpus
Programmzettel
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THEATER DER DICHTUNG
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Helena
Faust, der Tragödie zweiter Teil, III. Akt. Von Goethe.
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Begleitmusik nach Angabe des Vortragenden
»— — mit einem Worte, ich verwünsche alles, was diesem Publikum irgend an mir gefällt. Ich weiß, daß es dem Tag und daß der Tag ihm angehört; aber ich will nun einmal nicht für den Tag leben .... Ja, wenn ich es nur je dahin noch bringen könnte, daß ich ein Werk verfaßte — aber ich bin zu alt dazu —, daß die Deutschen mich so ein funfzig oder hundert Jahre hintereinander recht gründlich verwünschten und aller Orten und Enden mir nichts als Übles nachsagten; das sollte mich außer Maßen ergötzen .... Sie mögen mich nicht! Das matte Wort! Ich mag sie auch nicht! Ich habe es ihnen nie recht zu Danke gemacht! …« Gespräch mit Falk, 21. (?) Juni 1816.
»— — Je inkommensurabler und für den Verstand unfaßlicher eine poetische Produktion, desto besser.«
Gespräch mit Eckermann, 6. Mai 1827.
»Sie (‚Helena‘) ist eine funfzigjährige Konzeption. Einzelnes rührt aus den ersten Zeiten her, in denen ich an den ‚Faust‘ ging, andres entstand zu den verschiedensten Zeiten meines Lebens. Als ich daran ging, alles in einen Guß zu bringen, wußte ich lange nicht, was ich damit machen sollte. Endlich fiel mirs wie Schuppen von den Augen; ich wußte: nur so kann es sein und nicht anders!«
Gespräch mit C. Kraukling, 1. September 1828.
Ganz ohne Frage würd es mir unendlich Freude machen, meinen werten, durchaus dankbar anerkannten, weitverteilten Freunden auch bei Lebzeiten diese sehr ernsten Scherze zu widmen, mitzuteilen und ihre Erwiderung zu vernehmen. Der Tag aber ist wirklich so absurd und konfus, daß ich mich überzeuge, meine redlichen, lange verfolgten Bemühungen um dieses seltsame Gebäu würden schlecht belohnt und, an den Strand getrieben, wie ein Wrack in Trümmern daliegen und von dem Dünenschutt der Stunden zunächst verschüttet werden. Verwirrende Lehre zu verwirrtem Handel waltet über die Welt, und ich habe nichts angelegentlicher zu tun, als dasjenige, was an mir ist und geblieben ist, womöglich zu steigern und meine Eigentümlichkeiten zu kohobieren, wie Sie es, würdiger Freund, auf Ihrer Burg auch bewerkstelligen.
Brief an W. von Humboldt, 17. März 1832
(fünf Tage vor Goethes Tod).
Traumstück
Von Karl Kraus
Musik von Heinrich Jalowetz
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Die Zuwendungen aus den Erträgnissen aller Abende werden im nächsten Heft der Fackel ausgewiesen.
Zum Abschluß des Zyklus sei der Version widersprochen, die vielfach im Hörerraum die Wirkung begleitet haben soll: es müsse dies alles »aber auch vortrefflich einstudiert« sein. Nicht um ein Verdienst zu vergrößern, sondern um einen Unsinn zu verkleinern, sei wieder einmal gesagt, daß da überhaupt nichts einstudiert, nichts vorbereitet, nichts, außer den Strichen, auch nur genauer angesehen wird, ja daß selbst der Einklang mit der musikalischen Begleitung sich mehr dem Glück der Improvisation als der flüchtigen Probe verdankt. Studium wäre, selbst wenn auch dazu noch die Arbeit Zeit ließe, eine völlig unfruchtbare Leistung, von der die auf dem Podium, die hier entstehende, nichts behielte. Im Zimmer, ohne Auditorium, entsteht nichts. Dagegen ist es wohl richtig, daß jede Vorlesung eines Werkes die Probe zu der folgenden desselben Werkes ist. Dies war gegen eine völlig kunstfremde Meinung wieder einmal festzustellen, und wird wie alles schon Gesagte immer wieder gesagt werden müssen.
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