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Nestroy-Zyklus
III
Der konfuse Zauberer
oder
Treue und Flatterhaftigkeit
Original-Zauberspiel in vier Akten von Johann Nestroy
Musik von Adolf Müller sen.
(Nach der aus den Sammlungen der Stadt Wien ausnahmsweise zur Verfügung gestellten Handschrift der Partitur)
Bearbeitet vom Vortragenden
(Mit neuen Strophen)
Personen:
Schmafu, ein Magier
Eigensinn, ein Zauberer
Die Treue
Die Flatterhaftigkeit
Erster, Zweiter, Dritter dienstbarer Geist des Eigensinn
Amoroso, Neffe des Schmafu
Amanda, Nichte der Treue
Die Melancholie
Ein melancholischer Fiaker
Anführer der Seeräuber
Erster, Zweiter, Dritter Seeräuber
Konfusius Stockfisch, ein Seeräuber
Wünscheltrud, eine alte Hexe
Der Argwohn
Die Eifersucht
Peppi, eine Nymphe
Grund, ehemals Erdgeist, jetzt Kammerdiener bei Schmafu
Lord Punschington, ein Engländer
Miß Betty, seine Nichte
Benoit Comifo, genannt Point d’honneur, Kunstreiter
Amalie, seine Schwester
Madame Comifo, seine Mutter
Madame Klang, Singmeisterin
Jean Jacques
Bediente
Ein kleiner Junge
Dienstbare Geister des Eigensinn
Nymphen, Genien, Amoretten und dienstbare Geister der Treue
Seeräuber, Bediente
(Die Handlung spielt teils auf, teils bei verschiedenen Zauberschlössern, teils in einer großen Stadt.)
Begleitung: Dr. Viktor Junk
Nach dem zweiten Akt eine längere, sonst kurze Pausen
Der volle Ertrag wird dem Heim für blinde Mädchen (II. Darwingasse 5), der Freiwilligen Rettungsgesellschaft, dem Wiener Tierschutzverein und Unterstützungsbedürftigen zugewendet.
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Die Erstaufführung dieses vor »Lumpazivagabundus« entstandenen Stückes hat am 26. September 1832 im Theater an der Wien stattgefunden, mit Nestroy als Schmafu, Scholz als Konfusius, Carl als Comifo, Stahl als Eigensinn, Dlle Planer als Treue, Dlle Zöllner als Flatterhaftigkeit und Dlle Condorussi als Nymphe Peppi. Einer der Kritiker, die — im Gegensatz zu dem sonst höheren Niveau damaliger Theaterbetrachtung — immerhin schon als Vorläufer der heutigen Niedrigkeit angesprochen werden können, schrieb lapidar: »Es fehlt Herrn Nestroy nicht an einer gewissen Gattung von Witz, aber wohl am Dichtergeist. Er wird mir die Erklärung dieses Satzes erlassen.« Da es Nestroy getan hat, hat die Welt bis heute nicht die volle Wahrheit über ihn erfahren, mit deren Verbergung solch aufgeplustertes Federvieh noch eine besondere Gnade zu betätigen scheint. Tatsächlich wäre keiner dieser Gesellen, die die Rache der Inferiorität auf den Richterstuhl gesetzt hat, imstande, die ihm erlassene Begründung seiner Banalitäten zu stottern, wenn ihm das in contumaciam abgeurteilte Genie Aug in Aug gegenüberstände. Es war schon im Wiener Vormärz so, daß eben diejenigen, welche keine Meinung hatten, das Amt hatten, sie auszusprechen und durch das gedruckte Diktat der Bosheit an den Unverstand dem reichsten Wert an Menschsein und Geisthaben Leben und Wirken zu vergällen. Welche Wohltat daneben die fortschrittliche Erfindung des Totschweigens bedeutet, das zu erklären bleibe wieder mir erlassen. Jedenfalls kann man sagen, daß das Maß anerkennenden Verständnisses, welches die Kritik, natürlich auch die der Literaturgeschichte, und vielfach das Publikum namentlich für die ersten Werke Nestroys übrig hatte — also wo das Urteil nicht geradezu ein Exzeß der Abwehr gewesen ist —, am richtigsten mit dem kostbaren Wort aus dem »Konfusen Zauberer« bezeichnet wird: »Das ist grad so viel, als wenn man einem Walfisch eine Biskoten gibt.« Mir erscheint es unfaßbar, daß eine Wortkraft, die nie besser bestanden hat als in eben dieser Periode der Durchfälle und mittleren Erfolge, vor solcher Schwerhörigkeit der Zeit und in den Erniedrigungen der Theater- und Preßkabalen überhaupt am Werke sein und bleiben konnte. Kein Teilhaber dieser Ahnungslosigkeit hat damals mehr als den Situationsspaß erkannt, über den sich selbst diese Gehirne zuweilen erhaben dünkten, ohne zu ahnen, was sie da alles nicht verstanden. Seitdem ich Nestroy kenne, ist mir dieses Zauberstück als eines der in ihrer Leichtigkeit und Luftigkeit gewichtigsten erschienen, um der Fülle der Beweise willen, wie da die Charakterzeichnung alles vom Wort empfängt, um ihm nichts schuldig zu bleiben, und jeder Satz förmlich die Kugel ist, die durch die Figur in die Welt schlägt, ungeachtet dessen, was die erhabene Mittelmäßigkeit des Verstandes gegen alles Beiläufige, gegen jene gewollte oder ungewollte Unwahrscheinlichkeit der vom Witz geführten und irgendeinmal verlassenen Handlung einwenden mag, die doch schließlich die Unglaubhaftigkeit der Theaterwelt geziemend bestätigt. Ein Sätzchen wie das von dem als Kunstreiter verkleideten Konfusius gesprochene — die Flatterhaftigkeit sagt: »Stürmischer! So küssen Sie«, sie reicht ihm die Hand, er mit einem »Nur her damit« beißt sie, »Au weh! Was tun S’ denn? Sie haben mich ja in die Hand gebissen«, darauf er: »O, was vermag die Liebe nicht« — dergleichen war ein in der Fülle der Wortwerte und an die Leere der Empfängerschaft verlorenes Wunder. (Es wird sogleich aktuell: noch mit ihm befaßt, fällt mein Blick auf die Gerichtssaalnotiz von dem »Bissigen Kuß«, dessen Spender sich aber nicht gerade mit einem Sinnenrausch ausgeredet hat.) Und man wird in der deutschen Humorliteratur vergebens nach einem Vergleichsstück von dem phantastischen Witz suchen der kleinen Szene des »melancholischen Fiakers«, in der das ganze Vokabular dieser durch die Wiener Zeiten beruhenden Gaunersphäre in Schmerzensrufe aus tiefster Seelenumnachtung verwandelt scheint und die Wurzerei gleichsam einen Trauerflor trägt. Mit einem übersinnlichen Humor, dessen Wahrheit das geschaute Zerrgesicht der Wirklichkeit und dessen Tiefe die Grundlosigkeit des Lebens vorstellt, ist, was sich da in der Ansprache an Mensch und Pferd nur begeben kann — bis auf das schließliche »Hiö!« —, in der Menschheit ganzen Jammer einbezogen, wozu noch eine »Trauermusik mit Posaunen« das ihrige tut. Aber jede Zeile in diesem Zauberspiel war mir längst zum Liebling geworden, und nur die Schwierigkeit der musikalischen Zurüstung — bei dem irrigen Glauben, daß die Originalmusik verloren sei — hat in der vielfachen Bedrängnis meiner Arbeit dem Wunsch, das Stück vorzulesen, die Erfüllung verzögert. Nun ist aber der alte Eindruck durch ein literarisches Ereignis bestärkt und bereichert worden. Die Veröffentlichung des bisher ungedruckten zweiten Stückes Nestroys »Der Tod am Hochzeitstag oder Mann, Frau, Kind« (1829) — durch die sich die Herausgeber der neuen Sammlung ein Verdienst erworben haben, das noch größer wäre, wenn sie zugleich mit dem Werk auch dessen offenbaren Zusammenhang mit dem »Konfusen Zauberer« entdeckt hätten — hat mich angeregt, diesen einer Bearbeitung zu unterziehen, um in sie auch die vielen herrlichen Sätze einzupflanzen, die Nestroy aus dem oft wörtlich wiederholten Dialog der Vorarbeit nicht übernommen hat. Ich könnte wohl genau die Wegscheide bezeichnen, an der der Selbstbearbeiter sich jeweils von solchen Schätzen trennen zu müssen geglaubt hat, vor die sichtbare Unmöglichkeit gestellt, sie der äußerlich veränderten Handlung, die auch das Motiv des Traums durch das der Zauberei ersetzt, der veränderten Situation, ja dem nuancierten Charakter der Gestalt eben an der gegebenen Stelle anzupassen. Er mag es für den Theatergebrauch nicht so wichtig genommen haben, wie für die geistige Sache Nestroys der spätere Bearbeiter, dem, ohne die geringste Beschädigung dramatischen Gutes und mit dem Recht gegenüber einem Original, das selbst die Übernahme von etwa vierzig Dialogseiten zugibt, binnen kürzester Zeit gelungen ist, noch die unvergleichliche Fülle von zehn zu bergen. Dadurch ist es, freilich mit einer Teilung in vier statt in drei Akte, ermöglicht worden, die Episoden der Familie des Kunstreiters Comifo (dessen Verwandlung aus dem besseren Namen Point d’honneur nicht rückgängig, doch im Personenverzeichnis geltend gemacht werden durfte) in ihrer ganzen Kostbarkeit eines gewendeten Schiller- und Clavigo-Pathos zu erhalten. Die Bearbeitung bedeutet mit geringfügigen, stilgetreuen Überleitungen, die notwendig wurden, einen weit gelinderen Eingriff als die verkürzende der »Nachtwandler«. Das Quodlibet-Duett wurde textlich nur zum Teil verwendet und da es in der Partitur bloß als Fragment vorkommt, nach Angabe des Vortragenden musikalisch fortgesetzt, dem im Übrigen — vor allem an dem merkwürdigen Kuplet des Schmafu — die von der späteren Originalmusik enttäuschte Hoffnung erfüllt wurde, daß sie fast Ton für Ton mit der eigenen akustischen Vorstellung dieser versunkenen Welt der Liebenswürdigkeit übereinstimmt. Jenes Kuplet (mit dem Refrain: »Mit Gewalt muß der Mensch melancholisch da wer’n«) ist mit Zusatzstrophen versehen worden, die wie immer bloß der eigenen hörenden und lesenden Publizität des Verfassers vorbehalten sind und, als eine wenngleich stilgerechte Veränderung der zensurgedrungen unblutigeren Aktualität der Nestroywelt, in einer Ausgabe der Bearbeitung höchstens als deren Anhang Platz finden dürften, wie sie ja auch kaum dem Mund eines Schauspielers anvertraut werden könnten. Daß es gelingen sollte, die Originalmusik, die ganz von der Frische und Lieblichkeit der ersten Begleitungen Adolf Müllers erfüllt ist, vorzuführen, ist mir allein schon ein freudiges Bewußtsein in der unholden Epoche, in der jede musikalische Erleichterung des Lebens ein Lustmord aus Gewinnsucht ist. Wie denn überhaupt die Arbeit an diesem verschollenen Nestroywerk, von dem Augenblick des Entschlusses an, eine wenn auch noch so anstrengende Erholung war von jener, die ich soeben im Dienst der Pflicht beendet hatte, den größten österreichischen Dichter gegen den barbarischen Zugriff dieser theatralischen Gegenwart zu schützen. Zum Glück wäre zwar nicht die Talentlosigkeit, aber die Unzulänglichkeit der materiellen Mittel imstande, einen der jetzt nestroywütigen Theatergeschäftsinhaber von dem Versuch zurückzuhalten, dem ausstattungsreichen Zauberspiel den Zauber auszutreiben.