Vorlesungsprogramm Karl Kraus

Transkription: 

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Durch die Nacht der Nächte ... *)

Der sterbende Soldat **)

10 Minuten Pause

Die Lemuren *) (mit Ergänzung aus der demnächst erscheinenden Buchausgabe der Kriegsaufsätze)

Der Generalstabschef des Geistes *)

Mir san ja eh die reinen Lamperln **)

Hungersnot in Wien *)

Absage **)

Zettels Erwachen *)

Der Zeuge **)

Auf Walpurgis zwischen Sautanz und Totentanz *)

*) Aus dem "Nachruf"

**) Aus "Worte in Versen IV"

Änderung und Kürzung des Programms vorbehalten.

Ein Teil des Ertrags für den Arbeiterverein "Kinderfreunde" (VI. Sandwirtgasse 2) und für einen anderen wohltätigen Zweck.

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An alle die die Wahl haben

Vor dem Auftrag, für einen schlechten Zweck zu sterben und zu töten, also vor der Idee unsres Vaterlands, hatten sich zwei seiner Internationalen verleugnet: die katholische und die proletarische: diese, indem sie die Waffe nicht zerbrach, jene, indem sie sie segnete; und nur eine ihr Wesen bewährt: die journalistische. Jetzt, da dem schlechten Zweck Millionen Morde und Tode nicht geholfen haben, ein reineres Ehrgefühl jedoch aus der Verzweiflung über den vertanen Aufwand an lebenden Mitteln sich in den Glauben rettet, daß die Idee des Vaterlands besiegt sei, steht vor aller Sorge eines zerstörten materiellen Lebens die Frage, welche politische Partei hierzuland mit dem größten, welche mit dem geringsten Anteil, tätig oder duldend, der Hinrichtung der Menschenwürde beigewohnt hat. Unterbleibt das Strafgericht an den journalistischen Urhebern und Förderern der Tat, so wird es sich an der Menschheit wiederholen, die sie nur überlebt hat, um ihr von neuem geopfert zu werden. Denn sie weiß nicht, daß sie schon heute ihre morgigen Kriegsberichte liest. Ob uns der alte Zwang verhängt oder die neue Freiheit vorbehalten sei: wir hier werden in unser Schicksal durch die Entscheidung eines Wahlkampfs eintreten. Sie hat den stärksten Sinn, den je eine politische Abstimmung hatte: den negativen. Nicht was einer sonst fürs Dasein will, nur daß er nicht mehr eine Befehlsgewalt zum Tode will, soll er diesmal bekunden. Denn seine Stimme sei nicht
mehr und nicht weniger als das Bekenntnis, daß er einer provisorischen Sicherheit seiner Geldtasche zuliebe die Blutschuld übernimmt, oder sie, für Vergangenheit und Zukunft, abweist. Jener wird christlichsozial, dieser sozialdemokratisch wählen. Jener wird sein Scherflein zu dem Eindruck beitragen, daß ein »unschuldiges Volk« die Tat seiner abgehausten Regenten nachträglich gutheiße und ihrem fortzeugenden Fluch nicht entgegenzutreten gesinnt und gesonnen sei. Der andere wird
sich, mögen ihn alle Interessen oder Ideale einer Friedenswelt von der Sozialdemokratie scheiden, und auch der Antipolitiker, für den der Gedanke erst jenseits der Gemeinschaft anfängt, zu einer Partei bekennen, welche nicht größere Kriegsschuld belastet als eine Menschheit, deren Seelenkraft keinen hinreichenden Schutz, keinen mehr, keinen noch, gegen Mitrailleusen gewährt hat; welcher aber das Verdienst zuzusprechen ist, die große Zeit der Entehrung sehend durchlebt und dem vaterländischen Zwang ihre Gesinnung verweigert zu haben. Nun aber scheint es die Bestimmung alles Hiesigen zu sein, für alle verfügbaren Maße einer Zeit das denkbar kleinste Geschlecht bereit zu halten. Sonst wäre ja die rapide Ausschaltung des Kriegserlebnisses, die an Schmach den Inhalt dieser vier Siegesjahre übertrifft, unmöglich; unmöglich der Eifer, des Gottgeschenks dieser Niederlage sich unwürdig zu erweisen; unmöglich die politische Fortlebensfähigkeit von Gestalten, mit deren Namen der durchhaltende Ekel der leersten Phraseologie verknüpft ist und die, anstatt uns die letzte Entschädigung, ihren Selbstmord, widerfahren zu lassen, Kandidatenreden halten. Eben ihnen treibt die Hoffnung jener Kreise zu, deren Rasseverpflichtung zwar die Gewitztheit ist, aber auch eine Tatkraft, welche die etwa vorrätige Dummheit zu einer vor der Dummheit aller andern Völker auserwählten Dummheit macht. Der kaum zu ermessende Kriegsgreuel, daß das einem blutsaugenden Vaterland abgepreßte Gut an hellichtem Tage Schutz begehrt und daß sich die Juden aller Konfessionen in der Notwehr gegen die Not der andern als die einzig authentische Geldrasse zusammenfinden, wird als romantisches Abenteuer enden: Kriegsgewinner, die den Christlichsozialen die Tasche öffnen, um sie ihrem Schutz zu empfehlen, begegnen sich vor der Wahlurne mit Kommunisten, die mit besserer Aussicht vom Sieg der Christlichsozialen eine Förderung ihrer Bestrebungen erwarten. Wenn nicht im letzten Augenblick eine Spur von Ehre, eine Spur von Erinnerung, eine Spur von Voraussicht, kurzum ein Rest von menschlichen Regungen, den man selbst hier noch für lebendig halten möchte, die andere Wahl gebietet, wird Schwarz-Gelb, in der verächtlichsten Einigung seiner hassenswerten Farben, auferstehn zu einer kurzen Augenqual, um dem blutigsten Schaustück Platz zu machen.

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Signatur: 
H.I.N.-239598