Erinnerung von Friederike Hagel

Wenn der einsame Vorleser auf dem Podium seine seltsamen Spiele agierte, war außer Miene und Stimme die Gebärde seine treueste Helferin. Natürlich waren es vor allem die Hände, die spielten und die Szene schufen. Sie lösten z.B. abtretende Personen mit einem Wink nach hinten in Nichts auf […] Sie zeichneten den Hintergrund der Szene […]. Sie spielten (als Hände) mit, suchten als Lears verzweifelte Hände, nach hinten tastend, den hilfreichen Narren oder flehten wie verholzte Altershände, ohne die Finger zu krümmen, um Cordelias Erbarmen. Sie zitterten an dem über den Tisch gereckten Arm in den Saal hinein an Stellen furchtbarer Anklage aus den „Eigenen Schriften“. Sie umkreisten als Beute suchende Raben die Leichen auf dem Schlachtfeld. […] Die Hände waren ständig „zur Hand“, beschwörend, drohend, flatternd, schwebend, weit ausholend, als Teil der Darstellung selbst oder den Wortsinn unterstreichend – immer waren sie da!

[Friederike Hagel, „Der Vorleser Karl Kraus“, in: Kraus-Hefte 37, Januar 1986, S. 1-5]

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Datum: 
1986