Rezension der Deutschen Montags-Zeitung

»Karl Kraus.«

Es steht ein Mann vor uns, der ein Kämpfer ist; ein Mann, des heißesten Lebens voll. Es steht ein Mensch vor uns, den wir lieben.

Sein Beruf? Der Antijournalist. Der Tagesschriftsteller, dessen Werke unsere Enkel lesen werden. Er packt das Sein in den alltäglichsten Begebenheiten: da wird es unter seinen Händen menschliches Schicksal. — —

Sein Thema? Das Leben. Und wo er’s faßt, greift er in Menschenschande. Er bausche es auf? Ach, man weint bei seinem trostlosen Spott, der unser Herz bluten macht: daß die Menschen so jämmerlich sind. — —

Sein Ziel? Die Sauberkeit, die Anständigkeit. Und wenn ihr das Wort richtig begreift: die Moral. Hier gilt es den Kampf gegen menschlichste Art. Hier dienen die Fanfarenstöße dem letzten Ziel: Gesinnung, Leute, Gesinnung! Sie mangelt allerenden. Die Charaktere fehlen überall.

So müssen wir zu Karl Kraus wallfahren. Hier steht ein Charakter, mächtig, massiv und groß. Hier bewundern wir, die wir schwächer sind, vieles am Mann: den Mut des Wortes, das er hinter jene hertreibt, die er verachtet, die Größe der Kraft, mit der er, einem versengenden Blitze gleich, in die Abgründe morscher Seelen niederfährt, das rastlose Streben eines ganzen Lebens für eine Aufgabe, die — heute noch — uns unerfüllbar scheint; ja und wir bewundern voll Staunen und voll Liebe die unnahbare Lauterkeit eines Herzens, das unbestechlich wacht.

Wen bekämpft er? Sie alle, die heute vorne stehen und leeren Geistes sind: Maulhelden, die Völker regieren, Phrasenmacher, die Zeitungen schreiben, Dichterlein, die leere Blätter ohne Zwang füllen. Sie alle, der Menschheit Feinde, verfolgt sein Haß; er zeigt die Hohlheit ihrer Worte, die Irrwege ihrer Leitung, den Schwulst ihres Stiles, die Bürgerlichkeit ihrer Träume. Er zeigte uns die Gefahren. Sahen wir sie?

Wir dachten nicht immer so. Wir haben früher seine Hefte lächelnd gelesen. Wir achteten ihn; doch der Fanatiker ging auf Wegen, die uns unbedeutend schienen. Kleine, wurmstichige, krakehlende Menschen: übersah Karl Kraus, daß sie alle eines Achselzuckens, nie eines Kampfes wert waren? Wir wußten es besser; wir standen über ihm. Wir lachten. (Vergebung!) Denn wir wollten zu anderem Gipfel.

Dann kam es. Und als die Erde zusammenstürzte, begriffen wir seines tiefen Geistes einen starken Hauch. Wir sahen klar und schämten uns. Hatte er Hereinbrechendes nicht vorhergesagt? Daß sie ihr Ziel erreichen, die Welt in Flammen setzen würden? Nun brannte sie! Da kamen wir zu ihm; da blieben wir hinter ihm; und begriffen: bei ihm ist sie, die neue, die ewig alte, die anständige, die menschliche Gesinnung! Der neue Tag dämmerte: wir ahnten das Ziel seines Handelns. Wir sahen die Methode: wiederholen, wiederholen, zehnmal es ihnen einbläuen! Zehn Jahre es immer von neuem schreien, bis sie es hören werden: daß sie schmutzig sind und voll unertragbarer Jämmerlichkeit. Bis sie eines Tages aufhorchen werden. Wann wird das sein?

Ich weiß es nicht. Heute hassen sie ihn. Heute sind sie noch obenauf, in aller Welt obenauf. Sie tun ihn mit Scherzen ab und mit Verleumdungen. Das muß wohl so sein. Es erfüllt sich Prophetenschicksal.

Man sagt, daß sein schönstes Werk seine Gedichte seien. Freunde singen Hymnen auf die Form seiner Sprache und auf den Stil seiner Sätze. Ich glaube es. Ich weiß es nicht genau. Ich denke, daß sein reiner Geist wichtiger ist und sein klares Herz; ich fühle, daß die Lauterkeit seines Strebens leuchtet, daß die Glut seiner Worte zündet. Ich schätze eine Form, die wohl vollendet ist; ich liebe die Gesinnung, die anständig ist. Denn, nicht wahr, Freunde, wir wissen es:

Über allem Streben — Menschlichkeit!

*

Nun haben wir ihn hören dürfen. Nun haben wir seinen hochschultrigen Körper sehen können, diese ausdruckstiefen, ewig kämpfenden Hände, seinen Kopf, der wie ein mahnendes Menetekel über die Menschen schaut. Nun haben wir seine Stimme vernommen, die rauh ist wie Novemberwind und scharf wie Stahl und laut wie eine Kampfposaune. Nun haben wir es erlebt, daß wir unbeweglich und festgebannt dasaßen und uns nicht schützen konnten. Er kam über uns wie ein Träger des göttlichen Zornes, er sandte in unsere Herzen Klagelaute, er füllte uns mit großem Schmerz: unsere Hände wurden feucht, unsere ausgedörrten Seelen frisch getränkt. Da wir ihn hinter matter Lampe aufstehen sahen, wurden wir fromm in einem neuen Glauben.

Da wußten wir, es kommt die Zeit, Karl Kraus — es kommt unsere Zeit. Dann wollen wir den Kampf beginnen.

Denn unser ist das neue Werk!

[Peter Altschul, 13.05.1918, zitiert in: Die Fackel 484-498, 15.10.1918, 147-148] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

 

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Datum: 
13.05.1918