Rezension der Heidelberger Neuesten Nachrichten

[...] Was immer Kraus vorlesen mag, es wird im eigentlichen Wortsinn unerhört sein. [...] Sein furchtbares Gericht geht all denen unnachsichtlich ans Leben und ans Werk, die an der fortschreitenden Verhäßlichung des Zeitantlitzes durch Druckerschwärze hervorragend mitarbeiten. [...] Wer innere Größe zu erleben vermag, den muß die reine Inbrunst dieses wehr- und wahrhaften Künstlers ergreifen und aufrütteln [...]. Dieser männliche Geist hat mit der deutschen Sprache Worte und Werke geschaffen, von denen viele dauern werden, solange es eine deutsche Sprache gibt[...]. Kaum je aber hat bei uns ein Schriftsteller gelebt, der so tief in sprachliche Wonnen hineingerissen worden wäre und uns so mitgerissen hätte, wie dieser geniale Sprachschöpfer. Er, dem ein Gott zu sagen gab, woran wir lebensgefährlich leiden, ist schon Ungezählten, trotz des gegen ihn angewandten Totschweigeverfahrens, zu einem Erzieher und Befreier geworden [...]. Daß er sie hellhörig machte für die ureigenen Stimmen ihres Menschentums und sie die echten Werte in Kunst und Leben erkennen lehrte, daß er ihnen ein Wegweiser zum Leben im anspruchvollsten Sinne des Wortes wurde, das danken Karl Kraus heute schon viele Männer und Frauen mit dem höchsten Danke, dem der Liebe und Verehrung. Dr. Theodor Hinderer.

[Heidelberger Neueste Nachrichten, 16.02.1914 zitiert in: Die Fackel, 395-397, 28.03.1914, 42] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

 

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Datum: 
16.02.1914