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THEATER DER DICHTUNG
Darsteller: Karl Kraus
Die Kreolin
Operette in drei Akten von Jacques Offenbach. Text von Albert Millaud, nach dem Original und der Übersetzung von J. Hopp bearbeitet von Karl Kraus.
Musikalische Einrichtung und Begleitung: Franz Mittler.
Erstaufführung im Théâtre des Bouffes-Parisiens am 3. November 1875 und im Theater an der Wien (»unter persönlicher Leitung des Kompositeurs«) am 8. Jänner 1876.
Personen:
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Aus »Pariser Theatereindrücke« von Otto Brahm
(‚Die Nation‘, Juni / Juli 1888)
Die Vorstellung von Offenbachs »Prinzessin von Trapezunt« in den »Variétés« hat mir eine Vorstellung davon gegeben, was die Pariser Operette in ihrer guten Zeit, als der Übermut noch lustig und die Frechheit noch geistreich war, gewesen sein muß. Die ganze Lebenslust des zweiten Kaiserreiches, die unverwüstliche gaîté der Franzosen, hat sich in dieser Gattung zur Darstellung gebracht. Während heute die Operette auf der einen Seite nach dem Stil der Großen Oper töricht hinstrebt (Anm.: Schon der spätere Millöcker, lange vor Lehar) und durch Massenwirkungen und Evolutionen alle intimeren Wirkungen abschneidet, und während sie auf der anderen Seite in die pure, trottelhafte Karikatur hineingeraten ist, die jeden Menschen mit gesunden fünf Sinnen abstoßen muß, herrscht hier noch die wogende Lustigkeit einer toll gewordenen Phantasie, der es bei aller Zügellosigkeit dennoch nicht an gesunder Satire fehlt. Dieser über Nacht reich gewordene Akrobat Cabriolo, der sich einen Grafen nennt und den großen Herrn spielt, mit burleskem Ungeschick — war er nicht in napoleonischen Tagen allen eine bekannte Figur, wenn man ihn aus dem Stil der Operette und des Märchens in den Ton der Wirklichkeit übertrug? Und dieser arme Sparadrap, der als fürstlicher Hofmeister so viel Scherze und Strafen und Schläge über sich ergehen lassen muß — kann es nicht inmitten all des lustigen Trubels uns nachdenklich stimmen, das bedrängte, gestoßene Menschenkind? So stark auch die Übertreibungen hier sind, die Wahrheit des Lebens schimmert doch durch alle Hüllen durch; und mehr Beobachtung, mehr Natur und Fülle des Seins finde ich in Werken dieser Art, als in den vielgerühmten technischen Meisterstücken des Herrn Sardou. — — — — — — — — — —
Was aber den hinreißenden Eindruck hier vollendet, das ist die Kunst und Heiterkeit der Darstellung ....
Eine so geistreiche, originale Natur, eine so vornehme, kluge Künstlerin wie Madame Judic nimmt den Vergleich mit allen Genossen, innerhalb und außerhalb Frankreichs, auf; und die Unmittelbarkeit dieser Begabung haben weder die Jahre noch die zunehmende Fülle der Leiblichkeit schädigen können. Der Pariser spottet wohl, wenn er im Foyer wandelt, über die »Mère Judic«, aber sobald er wieder in den Saal tritt, schwindet seine Blasiertheit, und mit der ganzen Anhänglichkeit an seine Lieblinge, die ihn auszeichnet, und mit der Sicherheit seines Theaterinstinktes erkennt er die unvergleichliche Anmut und Kunst dieser Schauspielerin. Liebenswürdig ist sie immer; bezaubernd ist sie, wenn sie lacht. Wie bleibt
sie diskret im Übermut, wie gleiten ihr die leichten Melodien leicht und glitzernd von den Lippen, Perlen gleich. Wenn sie mit den einfachsten Mitteln, mit einer halben Geste, einem Blick, in der »Angot« die Rivalin zurückweist, wenn sie mit ruhiger Verachtung der pariserisch-zügellosen Mademoiselle Granier das improvisierte Wort entgegenwirft: la rue! — so empfindet man, daß sich hier in der Tat die Rollen und die Personen decken und daß sich die Königin der Operette der andrängenden Gaminerie würdig und graziös entgegenstellt.
Diese wertvolle Betrachtung ist schon darum beträchtlich, weil sie zeigt, wie lebendigstes szenisches Leben vermocht hat, selbst dem Mann, der vom Seminar zur Bühne kam und in dessen Adern wohl kein Theaterblut floß, das Herz aufgehen zu lassen. Noch beträchtlicher dadurch, daß einer, der von Champagner gekostet hatte, sich später an Lebertran berauschen konnte: daß solche Erinnerung an solches Miterlebnis nicht imstande war, ihm den Geschmack und die bittere Lust zu verderben an der, obschon vorbildlich exakten und konsequenten, Durchführung jener naturalistischen und psychologischen Künste, die, von der Bühne herab, doch nur durch Langeweile die »vielgerühmten technischen Meisterstücke des Herrn Sardou« übertrafen und deren Ära von dem Sinnenkitzler Reinhardt abgelöst werden mußte. Von ihr ist freilich ein Ensemblewerk wie die Inszenierung der »Weber« (durch den besten deutschen Regisseur, Cord Hachmann) auszunehmen; und Brahms Verdienst, Kräfte wie Else Lehmann und Oskar Sauer erkannt zu haben — wenngleich sie ihre Theaterlust an Ibsendialogen büßen mußten —, stellt doch die Verbindung mit der Möglichkeit her, sich von der Judic bezaubern zu lassen. Es war Versäumnis, als Schulknabe Anfang der Achtzigerjahre täglich nur an dem Zettel des Stadttheaters vorüberzugehen, der ihr Gastspiel — zumeist in Schwänken wie »Femme à papa« — anzeigte, wenn man, Brahm beneidend, sich so lebendig vorstellen kann, wie sie noch früher als Madame l’Archiduc und Kreolin gewirkt haben muß. Unter allen, die die neudeutsche Bühne an das Ausland abgegeben hat — was ihr blieb, ist schlimmer als der Verlust —, und die jetzt namentlich London aufregen, dürfte wohl einzig Lucie Mannheim (welche als »Göttliche Jette« altes, richtiges Theater spielte) etwas von jenem bühnenbeherrschenden Talent überkommen haben, durch das die Judic noch in ihrem Spätherbst Germanisten erwärmt hat.
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