[...]
Die Briganten
Operette in drei Akten von Offenbach
Text von Meihac und Halévy, nach der Übersetzung von Richard Genée erneuert von Karl Kraus
[...]
Mit Zeitstrophen in den Couplets des Falsacappá und des Antonio
Begleitung: Georg Knepler
Nach dem ersten eine längere, nach dem zweiten eine kurze Pause
Die Gestaltungen der geistigen Welt Offenbachs müssen und wollen den Anspruch auf eine musikalische Interpretation im streng technischen Sinne unerfüllt lassen. Die Wiedergabe erfolgt ohne Kenntnis der Notenschrift.
Notiz des Wiener Programms
Der Offenbach-Biograph Louis Schneider (Perrin et Cie, Paris 1923) schreibt:
Il est bien difficile de décider si les Brigands sont supérieurs à une autre œuvre des mêmes auteurs. Ce qui est sûr c’est que la pièce et la musique se marient à souhait, c’est que jamais partition n’avait été plus variée, jamais livret n’avait été plus fin, plus ironique et au fond plus vrai. Des mots comme celui du caissier [Finanzminister] du duc de Mantoue, qui a volé trois millions à son gouvernement: »Il faut voler selon la position qu’on occupe dans le monde« avaient non seulement déchaîné un rire formidable, mais on désignait par des noms propres le caissier en question .... ce caissier est la trouvaille de la pièce ....
Nach einer etwas fehlerhaften Inhaltsangabe hebt er die Musikstücke hervor:
Le chœur d’entrée des brigands, le dialogue »Bon ermite où nous conduis-tu?« (»O heil’ger Eremit, sag an«), la chanson de Falsacappa »Quel est celui qui par les plaines (»Wer ist es, der durch Wald und Fluren«) et les couplets, à la plaisante modulation, de Fiorella »Au chapeau je porte une aigrette« (»Die treue Büchse stets zur Seite«) sont les pages les plus délicieuses du premier acte; au deuxième acte, le chœur en canon »Soyez pitoyables et donnez-nous du pain« (»Hör uns flehn voll Zagen um ein Stückchen Brot«), le duo de Fiorella et de Fragoletto: le petit duo du notaire (»Mein Herr Notar, mein Herr Notar«), et bien d’autres morceaux encore, tels que l’air du caissier au troisième acte »Hélas! j’ai mangé la grenouille« (»Sagt mir ein Weib, daß es mich liebe«) sont restés dans toutes les mémoires.
Und er hat nicht einmal die merkwürdigsten genannt. Zwar der Kettengesang der als Bettler verkleideten Räuber, der vom parodischen Kanon bis zum Pathos der Marseillaise hinaufführt, ist ein selbst bei Offenbach verblüffender Genieeinfall; das Entree des Falsacappa von einer Schlagkraft, die das Auftreten des Bumbum und des Erzherzogs übertrifft. Aber da fehlen noch: das ent- zückende Spottlied der Fiorella, die als Wegweiserin den ratlosen Prinzen, der sich an ihr zurechtfindet, wegweisen muß (»Erst zur Rechten, dann zur Linken«); die Lieder des Fragoletto: von der gegenseitigen Plünderung (»Als kürzlich du besuchtest mich«) und vom Kabinettskurier (»Falsacappa, sieh meine Beute«); die »verwickelte Affaire« und die Angelobung als Räuber; die spanischen Motive (»Granada, das ganz Spanien preiset« und »Habt bisher Ihr immer besessen«); das Lied des Prinzen im Kreise der Hofdamen (»Einst herrscht’ in fernen Landen«); das einzigartige Gemenge der Räuber- und Höflingschöre; und vieles noch, und in jedem Klang das berückend bitter-süße Doppelwesen. Aber zwei Stücke gibt es, die alles Offenbachische überbieten. Das Auftreten des Präfekten an der Spitze der über die Bühne schreitenden Polizisten, mit deren Erscheinen und Verschwinden immer das der Briganten abwechselt. Nach deren Aviso: »Die großen Stiefel, sie trappen, sie trappen, sie trappen …« jene mit ihrem: »Respekt, jetzt kommt Polizei!« (die »immer zu spät herbei« kommt). Der Biograph erwähnt diesen Auftritt — Offenbachs größtes Finale — nur in einem Zusammenhang mit dem Malheur des großen Schauspielers Baron, der bei dem Motiv
Nous sommes les carabiniers,
La securité des foyers;
Mais je ne sais par quel hasard,
Au secours les particuliers,
Nous arrivons toujours trop tard
zu spät einsetzte und es dann zu einem sieghaften Extempore in Prosa verwandte.
.. sa voix de tonnerre enrhumé était si comique qu’on l’applaudit furieusement …
Eben diese Stimme gehört zu dieser Gestalt. Es dürfte aber wohl erst in der neuen textlichen Anwendung der ganze grandiose Hohn dieses Marsches hervorkommen, der heute etwas von einem Kondukt von Leichen hat, über die er schreitet: förmlich durch den Hohlraum hindurch, der entsteht, wenn dieses Gepränge einer subalternen Wichtigkeit nur auftaucht. Ein Operettenalba, der nichts als Schrecken und Heiterkeit um sich verbreitet. In schicksalhafter Zusammenschließung künstlerischer und polemi-
scher Mission mußte ich diesen Griff tun, ein Werk zu finden, dessen unvergleichliche Einheit in Text und Tönen wie von selbst allen Zeitgehalt aufnahm. Das Staunen über die Aktualität mag sich aber mit der Erkenntnis beruhigen, daß alles, was in der satirischen Landschaft zwischen Polizisten und Briganten spielt, veraltet war, bevor es neu wurde, und das Ereignis besteht nur darin, daß die Wirklichkeit, die heutige Hiesigkeit, ihren Vollgehalt an ältester Komik frisch ausleben kann. So bleibt es keineswegs dabei, daß die Gestalten, die sie bevölkern, lächerlich sind. Denn diese Wirkung ist durchwirkt von dem Grauen, daß sie so lächerlich sind, keine Ahnung von ihrer Lächerlichkeit zu haben. Eben dieses Unsagbare sagt Offenbach und eben dieser Zustand ist es, was heute nach ihm verlangt. Bald glaubt man konturhaft der Umformung eines Lebens von Schönpflug-Gestalten ins Daumierartige beizu- wohnen; bald hört man diese Musik mit einer Deutlichkeit der Expression alles zur Sprache bringen, was die Sprache selbst kaum mehr bewältigt hätte. Auch losgelöst von einem Text, der bloß nirgendwo solchen Ausdruck belasten durfte, vermittelt uns diese Rhythmik die schmerzhafte Vergewisserung von Lebensformen und die Entschädigung, sie in ihren eigenen Wahnwitz aufgelöst zu sehen. Voll und ganz. Gespensterhafteres wäre nicht vorstellbar als diese Vertonung des Zeremoniells — hier aus dem Spanischen ins Österreichische greifend — durch das Duo, mit dem im zweiten Akt, vom Gefolge gardiert, der Zeremonienmeister und der Präfekt auftreten. Auch ohne Text, ohne dessen Auffüllung, wäre diese Tongebärdung von Automaten der reinste Ausdruck alles dessen, was man aus dem Bereich der klischierten Phrase ins Bewußtsein übernommen hat: das Um und Auf von Lebensäußerung der Träger einer grundlosen Würde, derer, die da sind, um da zu sein, die kein Umsturz entfernen könnte und die gemäß dem Urmotiv der österreichischen Offizialwelt — à la »Spielvogel und Zawadil« — nur paarweise auftreten können. Man achte auf die Übereinstimmung, wie in dieser Szene eines Werkes, dessen Schatz mir erst nach den »Unüberwindlichen« erschlossen wurde, der Präfekt durch Wiederholung der jeweils letzten Zeile das Einverständnis mit dem Partner bekundet. Doch wie »Wolkenkuckucksheim« die Sublimierung der »Letzten Tage der Menschheit« in eine luftigere Region bildet, so mußte der Polizeikrieg aus dem Nachkriegsdrama in die »Briganten« übergehen. Nie sind Spott und Schauder derart musikalisch verdichtet worden, und ich glaube, daß mit diesen Motiven — des Marschierens und des Repräsentierens — wie mit allem, was sich textlich wie von selbst, gleichsam pflichtgemäß ergab, eine Gestalt, der in ihrer Funktion bisher nur die Lebenslänglichkeit garantiert war, definitiv von der Tagesordnung in die Unsterblichkeit eingeschritten ist. Lächerlichkeit kann zwar nicht mehr töten, aber sie kann auch nicht vor dem Schicksal retten, daß eben dieser Zustand aufgezeichnet wird. Alles was hier bloß darum fortlebt, weil es nicht untergehen kann, ist in einer Offenbachschen Tonfigur längst enthalten. Er war seiner Zeit voran, welcher er darum bloß einen flüchtigen Reiz zurückließ, und die, in die er eingreift, überlebt seine Wirkung nur, weil sie so geartet ist, ihn nicht mehr hören zu können. Es berührt gleich einem Wunder, daß die Grazie aus der französischen Luft der Sechzigerjahre wie ätzendes Gift wirkt, eigens für das Neuösterreichische erfunden. Dagegen schützt keine Ablehnung, und der Widerstand des christlich-germanischen Schönheitsideals, der sich sofort regt, wenn der Name Offenbach nur genannt wird, beweist die Wirkung. Unfehlbar spürt der Troglodyt den Geist, besser als der Weltkommis, der andere Sorgen hat. Wenn diesem nicht bis dahin alles Organische erlegen ist, wird sich zu der Trauer, daß Shakespeare auf dem Theater ausgespielt hat, der Trost gesellen, daß mit Offenbach ein neues Zauberreich erschlossen werden könnte. Alles, was der neuen Groteskoper einfällt, kommt von ihm, und es fehlt nur noch das Theater, das Mut zu ihm selbst hat, ohne ihm die Gewalt der schäbigen Zeitmittel anzutun. Seine Lebensfähigkeit steht außer Zweifel: Österreich bekreuzigt sich vor ihm.
[...]