Vorlesungsprogramm Karl Kraus - Theater der Dichtung

Transkription: 

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Die Prinzessin von Trapezunt

Operette in 3 Akten von Jacques Offenbach

Text von Ch. Nuitter und E. Tréfeu, nach Julius Hopp bearbeitet von Karl Kraus

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Mit Zeitstrophen in den Couplets des Casimir, der Ballade der Regina und mit einer Huldigung Zanettas für Offenbach

Begleitung: Georg Knepler

Textbuch (mit fehlerhaften Gesangstexten) »La Princesse de Trébizonde«, Opéra-bouffe en trois actes, bei Calmann-Lévy, éditeurs Paris, 3 Rue Auber

Klavierauszug bei Bote & Bock, Berlin (vergriffen)

Ein Teil des Ertrags fällt der Steuerbehörde zu, da für die durch Jahre wohltätigen Zwecken gewidmeten Erträgnisse nachträglich Steuer gezahlt werden muß.

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Die Bearbeitung ist wie immer im Sinne der stilistischen Erhaltung erfolgt, einer Restaurierung, deren erneuerndes Walten darauf abzielt, daß alles »wie alt« erscheine, während die unveränderte Übernahme des Dialogs in der verbalen Hervorhebung des Einzelvortrags vielfach Veraltetes aufwiese. Die sprachliche Auffüllung war diesmal weit weniger an den fast mustergültigen Gesangstexten Hopps als an der Prosa zu vollziehen, deren Anderssein erst durch ein vergleichendes Studium der Texte in Erscheinung träte. Das berühmte politische Couplet des Fürsten (»Wer den Leu wagt zu wecken, der kriegt’s mit dem Stecken«) und das oft zitierte vom Untertan (mit der Stelle: »Champagner zu schlürfen, haben s’ zuschauen dürfen«) sind schon einmal mit je einer Zeitstrophe vorgetragen worden, die — außer neuen — für den Gesamtvortrag (verändert) übernommen wurden. Die Ballade der Regina auf die Wachsfigur bot eine Fülle von Möglichkeiten zeitlichen Anschlusses. Die Partitur ist eines der entzückendsten Offenbach-Wunder, und das Datum der Erstaufführung im Théâtre des Bouffes-Parisiens weist auf die Arbeitsleistung, die dieser Schöpfungsfülle gepaart war: drei Tage danach hat Offenbach die Premiere der »Briganten« im Théâtre des Variétés dirigiert. Aus dem Tokayer-Gesang des dritten Aktes scheint ein Tropfen in die »Fledermaus« gefallen zu sein, deren kultivierte Musik ja auch von dem großen Rausch in »Pariser Leben« etwas bewegt ist. Das Buch — von den Autoren des alten Burgtheatereinakters »Eine Tasse Tee« — ist einer der bestgebauten Texte Offenbachs. Es dürfte schon einmal angedeutet worden sein, daß es, mit dem Zauber einer Luftspringerwelt und mit dessen Beziehung auf die Lebensdinge zwischen Nestroy und Wedekind spielend, diesem ein bestimmender Eindruck gewesen sein mag. Jedenfalls hätte er sein helles Entzücken an diesen Vorläufern der Arena gehabt, an der emporgekommenen Seiltänzerfamilie, die im Wohlstand von Nostalgie befallen wird und deren Vater, heißt es, dabei ertappt wurde, wie er sich in die Küche schlich, um Feuer zu fressen. Das Problematische des Vortrags lag nicht so sehr in der Schwierigkeit, die fortwährende Ensemblebewegung darzustellen, die durch jede Assoziation an die Artistenwelt entfesselt wird; denn im Gegensatz zu der Bühne, die den Temperamentsmangel der heutigen schauspielerischen Natur so fragwürdig durch Regiekünste ersetzt, ist dem »Theater der Dichtung«, das mit Stimme, Miene und Gebärde sein Auslangen findet, keine Aktion unerreichbar und nichts Menschliches fremd. Das große Hindernis schien die Rolle des Prinzenerziehers Sparadrap zu bieten, die im deutschen Text ganz auf die bekannten Wortverdrehungen (à la »Tibaktrafak«) jenes großen Komikers Knaack gestellt war, dem Herr Pallenberg seine Originalität verdankt. Solche Spezies der Wortkomik, im Munde des Vortragenden unmöglich, mußte durch eine andere Form sprachlicher Karikatur ersetzt werden, durch die die kostbare Figur als solche nicht verändert wird. Mit dem Personenverzeichnis der Wiener Erstaufführung verknüpft sich das Gedenken an eine liebliche Gestalt, von der ältere Kenner der Wiener Theaterdinge erzählen, an Fräulein Hermine Meyerhoff, die Darstellerin der Zanetta, der der Bearbeiter zum Schluß eine Huldigung für Offenbach zuweist. Sie hat es mit Presse und Krieg zu tun gehabt. Denn sie hatte den Mut, gegen ein Blatt Prozeß zu führen; und sie ist erst nach jener großen Zeit, die nirgendwo auf dem Erdenrund erbärmlicher war als in Österreich, gestorben, nachdem sie — als Greisin, aber Baronin Tatitscheff und Witwe nach einem russischen Diplomaten — von der k. u. k. Militärbehörde »konfiniert« und in der brutalsten Weise behandelt worden war. (Bis sich ein Sozialistenführer, sonst dem Verklungenen und Vertanen grundsätzlich abgeneigt, ihrer in edelmütiger Weise annahm.) Doch wird sich die Erinnerung länger und lieber dem Kapitel österreichischer Kultur, das die Offenbach-Premieren umfaßt, zuwenden als dem Abschnitt österreichischer Bestialität, die sich da sieghaft gegen den inneren Feind bewährt hat.

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Aus dem ‚Anbruch‘ (XI. Heft 3. März 1929, Universaledition):

Karl Kraus und Offenbach

Von Ernst Křenek

Eine Publikation, die sich mit der Operette und ihrer Stellung in der Gegenwart beschäftigt, darf keineswegs an Karl Kraus und seiner Offenbach-Erneuerung vorübergehen. Ohne daß ich hier näher darauf eingehen kann, welche Bedeutung die Offenbachsche Welt für Kraus in seinem Kampf gegen die Dummheit und Schuftigkeit der Zeitgenossenschaft gewonnen hat und wie glänzend sich auch hier wieder die Eigenart dieses größten lebenden Meisters der deutschen Sprache bewährt, am überlieferten Text und an der gegebenen Situation sich zu entzünden und aus ihnen eine im Original selten geahnte Größe und Wucht der Gestalt zu formen, sei hier nur auf die Tatsache hingewiesen, daß Kraus es fertig bringt, Operetten vorzulesen, ein Vorgang, der mit der üblichen Vorstellung von diesem Genre gewiß unvereinbar scheint. Während man selbst bei Aufführungen guter alter Operetten meist die Wahl zwischen Davonlaufen oder Einschlafen hat, hört man hier geschlagene dreieinhalb Stunden voll Spannung zu und bedauert schließlich, daß es schon zu Ende sein soll. Das liegt natürlich nicht nur an dem über das Original weit hinaus bereicherten und mit Aktualitäten organisch ergänzten Dialog, in dem jeder Satz ein satirischer Volltreffer ist, und an den genialen Zusatzstrophen zu den Couplets, sondern vor allem an der theatralischen Lebendigmachung des ganzen Werkes durch den Vortrag. Hier macht sich ein ungewöhnlicher Bühnensinn geltend, und die schöpferische szenische Phantasie des Vorlesers zaubert, nur mit der Stimme und ein paar Handbewegungen, ein vollkommen lebendiges theatralisches Bild hervor, so die rezeptive Phantasie des Zuhörers weckend, ohne sie durch die Zufälligkeiten der Kulisse zu beirren. Der besondere Dank des Musikers gebührt Kraus für die Unversehrtheit des musikalischen Textes, für die er sorgt, obgleich er mit seinen Vorlesungen gewiß nicht die Zwecke eines collegium musicum verfolgt und bei ihm eine Kürzung oder Umstellung eher zu begreifen wäre als bei den allerdings von Überregisseuren versklavten Kapellmeistern der deutschen Bühnen. Im Gegenteil, sein Sinn für das Wesen der Offenbachschen Operette ist so groß, daß er zum Beispiel gerade aus den in diesem Musikstil begründeten Textwiederholungen, die manchen Theaterdiktatoren, die zwar das »Tempo der Zeit« haben, aber von dem der Musik dafür umso weniger wissen, für »antiquiert« gelten, die entzückendsten Wirkungen gestaltet. Das auf diese Weise, trotz der Eigenpersönlichkeit des Vorlesers in seiner Originalgröße auferstandene Werk könnte unseren Operettenerzeugern und -verbrauchern schon zu denken geben, wenn sie dieses wollten und könnten. Die Libretti allein, die aus einer putzigen Schablonenhaftigkeit und unscheinbaren Alltäglichkeit plötzlich zu einer geheimnisvollen Allgemeingültigkeit gelangen und so der menschlichen Totalität des Darstellers jenen Raum freigeben, den ihr jeder gute Theatertext seit Shakespeare und Nestroy gewährt, sollten diejenigen entmutigen, die mühselig unnütze Begleitworte zu Toilettenschau und Beinparade kleistern. Und wenn einer der dazu bestellten Musikmacher im ganzen Abend einen solchen Einfall hätte, wie sie Offenbach über einzelne Nummern dutzendweise ausschüttet, er hätte bei der heutigen Anspruchslosigkeit des Publikums ausgesorgt. Freilich, es kommt wenig »fürs Herz« vor, und vor allem das Tenorlied »O du mein Wien« wird schmerzlich vermißt. So ist in einer Öffentlichkeit, die ihre Gehirnerweichung durch Muskelerhärtung zu paralysieren sucht, für Offenbach nur wenig Interesse vorhanden. Trotzdem soll hier darauf hingewiesen sein, daß alle, denen es mit dem Theater Ernst ist, von Karl Kraus mehr für das Theater lernen können als von dessen Mechanikern, und in der Weite seines Vortragssaales bessere Einsicht in das Wesen des Dramatischen gewinnen werden als durch noch so viele Scheinwerfer, die nur den Hohlraum eines beschränkten Rundhorizontes ausleuchten.

Die Redaktion des ‚Anbruch‘ hat das Heft, in dem dieser Aufsatz steht, dem Verlag der Fackel mit der Bitte übersandt, es »Herrn Kraus zugänglich zu machen«, und so ist ihm auch die Stelle nicht entgangen, woselbst — denn Zeitschriften erscheinen zwiespaltig — der herausgebende Herr Paul Stefan den folgenden Unsinn von sich gibt:

Dann kam abermals der große Pariser Impuls: Offenbach erweckte jene tolle Laune, die schrankenlose Keckheit des gallischen Temperaments, die vor keiner Zeiterscheinung Halt machen konnte. Mit dem Wort Zeiterscheinung ist zugleich bekannt, daß diese Werke von fast unvergänglicher Musik als Texte vergänglich waren und heute nur noch schwer zu beleben sind, sofern sie nicht mythologische Stoffe parodieren, denen wir einen Ewigkeitskredit eingeräumt haben.

Was diesen Zeiterscheinungen alles bekannt ist, denen nichts bekannt ist als der »Orpheus« und die »Schöne Helena«! Daß aber gerade diese leider unrettbar verloren sind, weil der »Ewigkeitskredit« der mythologischen Stoffe die alten Thaddädeleien nicht genießbarer machen kann und jeder Erneuerungsunfug hier in heillosen Kretinismus ausartet — das ist dem Herrn Stefan unbekannt, der mit dreister Anspielung auf etwas, das er nur vom Hörensagen kennt, die folgende Remedur empfiehlt:

Vielleicht müßte man, wenn man an eine nicht bloß literarische Wiederbelebung von Offenbach-Kuriositäten ernstlich dächte, in diese Stoffvorlagen mit kühnster Hand eingreifen — und auch da wäre der Erfolg nicht völlig sicher.

Immerhin wäre der Erfolg sicher, daß die kühnste Hand, die schon eine Pratzen wäre, von einer noch kühneren einen solchen Schlag empfinge, daß ihr die »Stoffvorlagen« wieder entgleiten möchten. Denn was ich mit meiner bloß literarischen Wiederbelebung von Offenbach-Kuriositäten doch mindestens zu erreichen hoffe — wenn es mir schon nicht gelingt, einer Gegenwart von Troglodyten und Konfektionsreisenden den Begriff einer großen Theaterwelt beizubringen —, ist der Erfolg, daß den Aufmachern das Handwerk gelegt wird und daß ihnen die Lust zur »ernstlichen« Schändung Offenbachs vergeht, und wenn ich, ohnmächtig wie ich bin, selbst diesen Erfolg nicht erziele, so führe ich den Protest durch, der mir kürzlich in München gelungen ist, wo ich »Pariser Luft« — Giftgas über München — ausgepumpt habe, nachdem ich ihnen zur Entschädigung »Pariser Leben« und dazu den Aufsatz »Offenbach-Renaissance« geboten hatte. Als erschütternder Kontrast zu den neudeutschen Offenbach-Verbrechen sei die einsame Kunsttat vermerkt jener stilgerechten Inszenierung der Madame l’Archiduc in Stendal durch Fritz Mahler, unbeachtet von einem großstädtischen Preß- und Theatergesindel, das zu einer Uraufführung der Lehar und Kalman in Extrazügen gewallt käme. Theaterhändler, die sich, von meinem Aviso verführt, an diesen vom Textmilieu nicht lösbaren Schätzen ver- greifen möchten, seien gewarnt. Ich werde den Berliner Blaubart des Herrn Slezak unter der Firma Rotter, die meinen Berliner Vortrag beehrt hatte, im Auge behalten. Wie ich alle Berliner Theaterdinge im Auge behalte (darauf bezieht sich der mißverstandene Plan der »Übersiedlung«) und wie ich insbesondere die unvorstellbaren Greuel des Jeßnerschen Sophokles und des Reinhardtschen Shakespeare beobachtet habe — es findet alles einmal seinen Niederschlag —, mit einem Falstaff, dessen herabbaumelnde Hosenträger vielleicht die einzige schauspielerische Wirkung sind, die ich bisher auf dem Podium des Theaters der Dichtung nicht zu erreichen vermochte und die mich wieder einmal Wert auf die Feststellung legen läßt, daß mein Name nicht mit scharfem ß geschrieben wird.

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Signatur: 
H.I.N.-240211