Vorlesungsprogramm Karl Kraus

Transkription: 

[...]

I

Vorbemerkung. An den Bürger 

In diesem Land

Für den Frieden in Mitteleuropa (mit Vorbemerkung)

Inschriften

Kreuzbrav

Inschriften (einige mit Musik von Mechtilde Lichnowsky; mit Vorbemerkung)

Die Ballade vom Papagei (Couplet macabre, entstanden 1915, Musik nach Angabe des Verfassers)

Alle Gebildeten begreifen 

Etymologie

Einstellung und Impuls oder Wie macht man das?

Eine Ebner-Eschenbach-Natur

Bunte Begebenheiten

Alles, nur nicht die Gobelins!

5 Minuten Pause

II

Conrad von Hötzendorf (1913)

Wiener Faschingsleben 1913

Aus: Ein Spaßvogel

Pech

Inschriften

Nicht Laertes, sondern eher Gajus Marius

Goetheaffen

Der Grund

Jugend

Todesfurcht

5 Minuten Pause

III

(nach Maßgabe der Zeit)

Traumstück

Dichter

Die Drei

Der Gürtelpelz

Feldherr, Techniker, Journalist

Tuberkulöses Kind

Valuta und Zinsfuß

Baumkrone

Die Psychoanalen

Imago

Geräusch

Der Traum

Ein toter Soldat. Ein Schmetterling. Politisten. Eine Katze. Eine Zeitung.

Auf vielfache Bitten wird ein Teil des Programms vom 18. Oktober, wenn möglich, wiederholt.

Änderung und Kürzung vorbehalten.

Ein Teil des Ertrages für Notleidende

Dem Programm der letzten Vorlesung war die folgende Notiz angeschlossen:

Begleitmusik nach Angabe des Vortragenden. Ouverture und in den Zwischenakten: Offenbachs »Prinzessin von Trapezunt« (Dr. Viktor Junk).

Wegen rechtzeitiger Räumung des Saales für die Abendveranstaltung muß auf die zwei Pausen verzichtet werden; die Zwischenaktsmusik setzt — bei verdunkeltem Saal — sogleich nach Aktschluß ein.

Aus dem gleichen zwingenden Grund ist es unmöglich gemacht, den Vortrag auch nur um eine Minute später als er angesetzt ist zu beginnen und auf die Zuspätkommer jene Rücksicht zu nehmen, die sie gegen Hörer und Vortragenden oft so gründlich unterlassen, indem sie sogar nach dem verspäteten Beginn erst eintreffen. Der rechtzeitige, der auf der Eintrittskarte deutlich genug angegebene, wird künftig auch ohne den besonderen Zwang der heutigen Veranstaltung eingehaltenwerden, bis als letzten Schutz gegen solche Störung sich die Einstellung der Vorträge empfiehlt.

Die Vorlesung von »Wolkenkuckucksheim« wird unter günstigeren Umständen wiederholt werden, wenn nebst dem quälenden, die große Anstrengung verzehnfachenden Gefühl der begrenzten Zeitdauer auch die Pein des gestörten Anfangs dem Vorleser erspart bleibt. Dazu müßten sich die Käufer der Karten ausdrücklich verpflichten. Wenn keine andere Rücksicht die zu spät Kommenden bestimmt und kein anderes Argument auf sie Eindruck macht, so mögen sie zur Kenntnis nehmen, daß die Viertelstunde, die man bisher, wenn es saaltechnisch möglich war, auf sie gewartet hat, in allen Fällen entweder zur Verkürzung des Programms geführt hat oder — bedauerlich zumal dort, wo der volle Ertrag einem wohltätigen Zweck zufließt — zu einer entsprechenden Verteuerung der Saalmiete. Selbst bei einem gemischten Programm, in der Pause nach einem Vortragsstück, ist die Prozedur der Sitzanweisung, das geräuschvolle Auftreten von Personen in einem Raum, der doch nicht so verdunkelt ist, daß der souveränste Beherrscher des Podiums sie nicht um diese völlige Lampenfieberfreiheit und Unbefangenheit der Individualität zu beneiden hätte, eine Zumutung für alle Beteiligten: für die Hörer, die Platz machen müssen, wiewohl sie ihr Sitzrecht durch eine taktvollere Anpassung an die Saalsitten erworben haben, für den Vortragenden, der mit dem Einsatz seiner Stimme warten muß, weil es irgend einem oder einer beliebt, noch nicht zum Platz gelangt zu sein, und der einmal die entstehende Pause dazu benützen könnte, zu sagen, daß er sie nicht entstehen lasse, um den Störern, sondern um den Gestörten zu einer Aufnahme des nächsten Stücks zu verhelfen. Nun bedenke man vollends, was es heißt, die Versfolge eines ganzen Aktes, der doch ein Absetzen und Zuwarten nicht ermöglicht, durch einen unaufhörlichen Verkehr von Besuchern und von Sitzanweisern (die die verspätete Funktion gleichfalls als keine geringe Belästigung empfinden) zerrissen zu sehen, wogegen es nur den fragwürdigen Schutz gäbe der Aussperrung einer Schar, welche dann durch laute Äußerungen der Unzufriedenheit den in der Nähe der Türen postierten Hörern vierzig Minuten noch gründlicher verdürbe. Und bei dieser Gelegenheit soll auch gesagt sein, daß jene, die es wieder vorziehen, früher wegzugehen, schon ganz und gar nebst der Macht, andere zu stören, alles Recht auf ihrer Seite haben. Es dürfte ja noch nicht der Fall gewesen sein, daß einer hier aus Langweile so gehandelt hat. Aber welcher Grad von Teilnahme und von Temperament vorhanden sein muß, um den Entschluß, früher zur Garderobe zu kommen, mitten in einem Vers des Gedichts »Jugend« zur Ausführung zu bringen — wie es am 18. Oktober geschah —, das sich vorzustellen, sollte der anders gestimmten Mehrheit erspart bleiben, und der Vorleser würde den Anblick der geöffneten Saaltür nach einem Vortragsstück, auf dessen Ende ja nur noch zwei Minuten zu warten wäre, mehr aus dem Gesichtspunkt des vorhandenen Rechts als des nicht vorhandenen Takts beurteilen. Jedenfalls legt er, um den dieser Vorlesungen würdigen Hörern sie zu erhalten, den denkbar größten Wert darauf, daß die eine Gattung den Saal schon verlasse, ehe die andere ihn betritt.

Signatur: 
H.I.N.-239991