Die Schwierigkeit, Karl Kraus zu ignorieren, wächst. Denn sein Publikum tut nicht mit, dieses Publikum, das ihm über neunhundert Köpfe stark am letzten Vorleseabend im Beethovensaal immer wieder zujubelte und durch ungestümen Beifall ihn fast eine Stunde länger als die gesetzte Zeit festhielt. Das ist eine durch kein offizielles Gazettenschweigen wegzuschaffende Tatsache. Ebenso, daß Kraus sich diesmal selbst überbot, daß man schwankte, was mehr bewundern, den schöpferischen Haß dieses Gehirnes oder die von allen rhetorischen Mätzchen freie und prachtvoll unmittelbare Art seines Vortrages, mit der er eine Reihe äußerst glücklich gewählter Stücke seines jüngsten Schaffens, die schon im Lesen von wirksamster Stärke waren, zu richtigen Erlebnissen gestaltete. Wenn es für die innerste Rechtlichkeit Karl Kraus’ eines Beweises bedürfte, wer ihn damals hörte, müßte sie ihm — und wäre er auch sein erbittertster Gegner — unbedingt zugestehen. Und das bleibt ja schließlich die Hauptsache. cs—r.
[Ton und Wort (12. Heft), zitiert in: Die Fackel 341-342, 27.01.1912, 49] - zitiert nach Austrian Academy Corpus