Rezension des Mährisch-schlesischen Korrespondenten

....Abermals gedrängt voll ....Kein Wort geht aus seinem Munde verloren. Und seine Vortragsweise umfaßt alle Tonleitern eines durchgeistigten Sprechens. Vom ersten Auftakt in die spöttische Pointe, von der amüsierten Gutmütigkeit bis zur gellen, beinahe tragisch-ernsten Groteske. Und dabei hat diese Stimme einen so ergreifenden Klang. Ferne, verborgene Schönheit läßt sie manchmal ahnen, Schönheit, die sich gepanzert hat und dennoch jubelnd hinter herabgelassenem Visier triumphiert ....Aus allem der Grundton seines heiligen Zornes:der Kampf gegen die Banalitäten Wiens und Österreichs. Kraus’ Leben und Wirken ist ja schließlich nur ein Wiener Traum. Gegen alles, was er seiner engeren, seiner engsten Umgebung mit dem feinen Ohre des Spötters ablauscht, woran sich sein innerstes Wesen stößt, — Kanten, die dem gewöhnlichen Menschen als selbstverständlich zur behaglichen Lebensfreude erscheinen —, richtet sich seine rücksichtslose Ironie. Da sind Tagesgrößen, die speziell in Wien vergöttert werden. Wie Heuschreckenschwärme fallen die Pointen Karl Kraus’ über ihren üppigen Ruhm her, und als achte Plage verrichten sie für ihn Zeichen und Wunder. Gestern hatte Kraus seinen besonderen Triumph. Er leitete ihn mit der Reminiszenz »Erdbeben« ein und ließ ihn in schrankenlosem Übermut auflachen, als er den bellenden »Grubenhund« glossierte. Die Aphorismen, die er brachte, erzählten vieles von ihm selbst. Am deutlichsten mag Kraus wohl sein ureigenstes Wesen ge- troffen haben in den Worten: » …und ich rauche dennoch!« Ja, Karl Kraus braucht von niemandem Feuer, nicht in Kunst, Literatur und Liebe. Er raucht dennoch, vertreibt die giftigen Mücken und seine Grillen, und wenn er zuweilen »schöne Köpfe« anraucht: wer wird es ihm verargen? bm.

[Mährisch-schlesischer Korrespondent, 24.11.1911, zitiert in: Die Fackel 339-340, 30.12.1911, 23-24] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

 

Signatur: 
L-137743
Datum: 
24.11.1911