Der Vortrag Kraus war eine Art Konglomeratvorlesung aus »Muskete« und »Arbeiterzeitung« über Krieg, Vaterland und Offiziere. Als der Vortragende in einer sowohl den Anstand als auch das Empfinden jedes Deutschen auf das Empörendste verletzenden Weise den »Wilhelm«, als Urheber des Weltkrieges plastisch gestaltete (!), da brachen laute Entrüstungsrufe los, der Vortrag wurde durch mißbilligende Zurufe unterbrochen. Die Juden, von denen vielfach ihrer 3 auf 2 Stühlen saßen, glaubten ihrem Stämmling und seiner Verhöhnung deutschen Volkstums durch Klatschen Beifall spenden zu müssen, der anständige Teil der Zuhörer aber verließ den Saal. Das Bemerkenswerte aber ist, daß die vorher geheimgehaltene Vortragsordnung mit voller Absicht auf Provokation ausgewählt war, denn es standen bei den Saaltüren zwei Polizeimänner und der Landeshauptmannstellvertreter Grüner bereit, welche drei die sich gegen die gebotenen Gemeinheiten Empörenden aus dem Saale hinausdrängen wollten. Die städt. Sicherheitsorgane gaben an, im höheren Auftrage (er wurde also schon im Vorhinein gegeben!) zu handeln, während Herr Grüner meint, man müsse die Störenden auf 24 Stunden einsperren. Der Landeshauptmannstellvertreter war also wohl vorbereitet, daß die Probe, wie weit die Innsbrucker Bürger für sozialistisch-kommunistische Ideen reif seien, nicht ganz zur Zufriedenheit ausfallen könnte.
[Allgemeine Tiroler Anzeiger zitiert in: Die Fackel 531-543, 04.1920, 53] - zitiert nach Austrian Academy Corpus