Einem witzigen Spötter erwarteten wir zu begegnen, und vor uns trat ein Ungeheuerlicher. Man muß an ägyptische Königsmasken denken angesichts dieser schneidenden Grausamkeit, in der nichts Niedriges sich verbirgt, dieser gehämmerten Erscheinung fanatischer Verachtung, aus der durch alle überlegene Eleganz des Hohnes ein überwältigender Kulturwille spricht. Er wendet sich gegen das Halbe und Hemmende, am schärfsten gegen die Kulturheuchelei, ob sie nun Harden, Richard M. Meyer, Frauenbewegung, Presse oder Wien heiße; nicht, den Feind erkannt zu haben, zeichnet ihn aus, die lückenlose Geformtheit des Angriffs packt, packt den Hörer ganz anders als den Leser der ‚Fackel‘. Im verdunkelten Saal des Architektenhauses saß vor einer beschämend kleinen Menge Begeisterter Kraus unter dem scharfen Licht der Pultlampe und hieb mit jedem haßerfüllten Wort auf die Zeit ein. Eruptiv und wie gebändigte Krämpfe des Abscheus, geläutert zu blitzenden Beilen, kamen die Worte hervor, von unheimlicher Wirkung durch die harte Gemessenheit, unter der fühlbar die Empörung sich bäumte.
So bekommt er etwas Heroisches, das ihn von den vielen gescheiten Anwälten der Kultur abrückt. Wohl ergötzt oft die lächelnde Fechtkunst, die sich keine Blöße gibt und jede des Gegners kaltblütig ausnutzt, aber dieses ästhetische Behagen verblaßt ebenso wie ein gewisses Mißbehagen, wenn Kraus sich in sein Opfer allzusehr verbeißt und zu lang an ihm herumzerrt, so daß die Intensität des Bisses verloren geht. Es bleibt das Erleben, wenn sich dieser Haß, geformt nach ihm wesentlichen Gesetzen, entlädt, daß man die Zähne knirschen hört. Man kann seine Form nicht absondernd betrachten, denn sie ist der Inhalt. Sich so aller sprachlichen Statisterie entledigen zu können und eine so differenzierte Waage für das Gewicht jedes Wortes und jeder Pause zu besitzen, heißt wohl: ein Dichter sein. Einen Dichter auch vernahm man aus einer polemischen Ballade und einem philosophischen Gedicht dramatischer Form, die den Schluß des wertvollen Abends ausmachten, Dichter auch im Sinne der Verskunst. dt.
[Die Staatsbürger-Zeitung, 30.11.1913, zitiert in: Die Fackel 389-390, 15.12.1913, 21-22] - zitiert nach Austrian Academy Corpus