Rezension der Grazer Montagszeitung

.... In beklemmender (nicht für ihn!) und beneidenswerter Einsamkeit, die mit den Jahren zu stolzestem Bewußtsein des eigenen Ichs wuchs, hat er sein unvergleichliches Lebenswerk geschaffen. Er darf Liebe, Haß und Verachtung austeilen nach seinem Ermessen, und er weiß, wie sie treffen! [...] Förderer einer Kultur, die nicht von heute ist, die wir auch nicht erleben werden, aber die er uns für eine anständigere Zukunft sehnend voraussehen gelehrt hat [...] Was wir nur dumpf fühlten, selten klar dachten, das hat Karl Kraus so meisterlich ausgesprochen, daß wir es wie eine Erlösung empfanden, daß einer ist, der unserem dunklen Fühlen die Klarheit seiner Gedanken und die Gewalt seiner Sprache gab. Doch hat er nie um »Anhänger« geworben. Vom Anfang an hat er sich bewußt außerhalb aller Gesellschafts-, geistigen, ästhetischen oder sonst irgendwie »kulturfördernden« Kreise gestellt, wollte und will auch heute noch ein Einsamer sein, niemandem verpflichtet und um keines Menschen Liebe oder auch nur Anerkennung werbend [...]. So war er und so mußte man sich mit ihm abfinden, im bejahenden und im verneinenden Sinne. Wer ihm nicht paßte, wurde rücksichtslos abgeschüttelt [...]. Bei kleinen Seelen mußte sich dann natürlich Liebe in Haß verkehren, weil sie nie etwas anderes gewesen war als Eitelkeit [...]. Indem er in dreizehn Jahrgängen der »Fackel«, der subjektivsten Zeitschrift, die es gibt, das öffentliche Leben in denjenigen Erscheinungsformen, die er für betrachtenswert hielt, begleitete, hat er eine ungeheure, ja beispiellose Leistung vollbracht und im wahren Sinne des Wortes ein Kulturdokument von unschätzbarem Werte geschaffen. [...] Nicht bessern will er die Gesellschaft, die Presse, die Rechtspflege, aber uns die Augen öffnen über den hypnotischen Zwang, der in diesen Fragen auf uns allen lastet [...]. Immer neue Probleme erstanden ihm und in kleinen, oft wirklich nichtigen Ereignissen spiegelten sich ihm Fragen, deren Lösung die Welt erbeben ließe. Das Walten der Natur, deren Gesetze über Menschenwünsche und Menschengesetze hinwegschreiten, fühlt er. Und zeigt die kläglichen Bemühungen reglementierender Staatsweisheit, gegen die Urgewalt des Geschlechtstriebes mit Paragraphen und weltfremder Justizweisheit zu kämpfen. Mit dieser Entwicklung seiner Weltbetrachtung hielt die seiner Ausdrucksfähigkeit gleichen Schritt. Seine anfängliche Sprachgewandtheit ist zur Sprachkunst geworden, zur Sprachkunst von einer Höhe ohnegleichen[...]. Ich konnte hier nur versuchen, ganz allgemein Karl Kraus’ Bedeutung für unser kulturelles Leben und für unsere zu erhoffende endliche Menschwerdung zu umreißen [...] Die Vorlesung am 18. Februar bietet Gelegenheit, diesen einzigen Mann in seinen besten Werken selbst zu hören. Die ihn schon kennen, werden sich freuen, aus seinem persönlichen Wesen neue Züge schöpfen zu können, die ihre Schätzung steigern werden; die anderen, die Karl Kraus Neulinge, werden sich schämen. so vielen Nichtigkeiten zuliebe so viel Großes und Schönes bisher versäumt zu haben. August Heinz Holter (Graz).

[Grazer Montagszeitung, 05.03.1912, zitiert in: Die Fackel 345-346, 31.03.1912, 16-17] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

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Datum: 
05.03.1912