Karl Kraus ca. Wiener Plakatierungs- und Anzeigengesellschaft (WIPAG)

Wien
04.05.1927 – 11.06.1927

[85.] In seinen öffentlich geführten Auseinandersetzungen mit Emmerich Békessy und Johann Schober bediente sich Kraus auch des Mediums des Plakates. Zwei Monate bevor er das bekannte Plakat mit der Rücktrittsaufforderung an Schober im Juli 1927 anbringen ließ, wollte Kraus ein Plakat anbringen lassen, das sich mit Emmerich Békessy und den Auswirkungen seiner Flucht beschäftigte: "Warnung in letzter Stunde - Der Schuft, den ich aus Wien verjagt habe [...]". (85.1.) Die Wiener Plakatierungs- und Anzeigen Gesellschaft lehnte die Affichierung dieses Plakates jedoch aus rechtlichen Gründen ab - sie fürchtete strafrechtliche Folgen wegen Ehrenbeleidigung:

"Sie haben uns ein Plakat zum Anschlagen übergeben. Wir massen uns selbstverständlich keinerlei Kritik oder Zensur der Plakate an. Diese Kritiklosigkeit hat aber ihre Schranke im Strafgesetz. [...] Die Bezeichnung 'Schuft' kann zumindest den Tatbestand einer Ehrenbeleidigung bilden." (85.3.)

Das Geld wurde ohne Probleme zurück überwiesen, doch bei der Rückstellung der Plakate fehlten sechs Exemplare, die offensichtlich dritten Personen überlassen worden waren und erst verspätet übermittelt wurden. Kraus und Samek brachten beim Bezirksgericht für Handelssachen eine Schadensersatzklage gegen die WIPAG ein, der sie vorwarfen, eine Indiskretion begangen zu haben - es sei aus Artikeln klar ersichtlich, dass das Plakat der Redaktion der Arbeiter-Zeitung bekannt gewesen sei. Zudem sei der Aufwand der Druckkosten vergeblich gewesen und müsse ersetzt werden. Die WIPAG erklärte sich sofort zur Zahlung des eingeklagten Betrages bereit, um es nicht zu einem Prozess kommen zu lassen.