Karl Kraus ca. Völkischer Beobachter (München)

München
03.03.1928 – 26.02.1929

[99.] Die Bayernausgabe des Völkischen Beobachters griff Kraus' "Traumstück" als "eine einzige fortgesetzte Verhöhnung frontsoldatischen Geistes" an und beleidigte auch Karl Kraus selbst als "Wiener Judenliteraten".

Der Münchner Rechtsanwalt Max Hirschberg riet auf Anfrage Sameks und Kraus' zu einer Ehrenbeleidigungsklage anstelle einer Berichtigungsklage, wie Samek unter anderem vorgeschlagen hatte: "Ich möchte nur noch hinzufügen, dass die Berichtigung gemäss einer von Herrn Kraus und mir  ständig unternommenen Uebung beabsichtigt war, auch die kleinste Kleinigkeit in der Presse zu berichtigen, um die Lügenhaftigkeit der Darstellungen zu charakterisieren. In Wien ist diese unsere Uebung allgemein bekannt und hat den schwachen Erfolg erzielt, dass man bei Artikeln, die mit Herrn Kraus irgendwie zusammenhängen, besonders vorsichtig ist. Da aber im Reich diese Uebung noch nicht bekannt sein dürfte, befolgen wir Ihren Rat von der Berichtigung in diesem Fall abzusehen [...]". (99.5.)

Hirschberg verhehlte nicht, dass er zwar auch im Zusammenhang mit eindeutigen Beleidigungen "zuweilen überraschende Erfahrungen" gemacht habe, reichte aber eine Ehrenbeleidigungklage gegen den  Völkischen Beobachter (und später auch gegen den Fränkischen Kurier) ein. Er riet dazu, dem zuständigen Richter "Die letzten Tage der Menschheit" vorzulegen und meinte aber, ein Erscheinen von Kraus bei der Verhandlung wäre "taktisch falsch":

"Er würde damit einem Blatte, wie dem Völkischen Beobachter, eine Bedeutung zusprechen, die ihm nach keiner Richtung zukommt. Auf irgendwelche geistigen Auseinandersetzungen mit diesem Blatte darf man sich grundsätzlich nicht einlassen." (99.13.)

Am 11. Juni 12928 wurde Wilhelm Weiß als verantwortlicher Schriftleiter vom Amtsgericht München wegen Ehrenbeleidigung zu einer Geldstrafe von zweimal 100 Mark verurteilt. Nach diesem Erfolg riet Max Hirschberg allerdings von einer weiteren Klage wegen eines anderen Artikels ab. Oskar Samek instruierte übrigens Max Hirschberg auch in Honorarsachen über die bei Kraus übliche Vorgehensweise:

"Was nun das Honorar betrifft, so glaubte Herr Kraus, dass Sie sich mit den gesetzlichen Gebühren in seinen Angelegenheiten begnügen würden, weil sowohl aus Ihren Schreiben, als auch aus der Darstellung des Herrn Fischer hevorging, dass Sie den geistigen Gehalt seines Kampfes miterleben und bei der Uebernahme der Vertretung mehr auf die Unterstützung des Kampfes, als auf die advokatorische Seite der Angelegenheit Rücksicht nehmen. Selbstverständlich würde Herr Kraus, wenn Sie darauf bestehen, das begehrte Honorar bezahlen, er wäre aber dann ausserstande seinen Kampf überhaupt auch mit juristischen Waffen zu führen [...]. In Österreich ist übrigens, wie ich Ihnen mitteilen kann, eine Honorarvereinbarung über die tarifmässigen Kosten hinaus auch nicht üblich und ich selbst halte es gerade in den Angelegenheiten des Herrn Kraus so, dass ich auch für diejenigen Prozesse, bei denen Herr Kraus die Kosten selbst zu tragen hat, mich mit einem Teil der tarifmässigen begnüge." (99.15)