Karl Kraus ca. Hamburger Nachrichten

Hamburg
24.05.1929 – 20.02.1930

[130.] Karl Kraus und Oskar Samek klagten durch den Hamburger Rechtsanwalt E. Lion die Hamburger Nachrichten, weil diese (unwissend) den Plagiatsvorwurf gegen Kraus aus Akt 122 perpetuiert hatten. Die Hamburger Nachrichten hatten zwar die von Kraus geforderte Berichtigung gebracht, aber nicht - wie gefordert - mit einem Ausdruck des Bedauerns. Also brachte E. Lion sowohl Straf- als auch Zivilklage ein. Die Hamburger Nachrichten verstanden diese Klagen vorerst nicht und bemühten sich um einen außergerichtlichen Vergleich:

"Die Klage hat aber auch keinen Sinn. Kein Mensch, ausser dem Kläger, denkt heute noch an die beiden Feuilleton-Notizen." Es sei "abseiten der 'Hamburger Nachrichten' alles geschehen, was irgend geschehen konnte, um dem überempfindlichen Kläger Genugtuung zu verschaffen, auf die er, nachdem seine Berichtigung gebracht war, ein Recht überhaupt nicht mehr hatte [...]. In rechtlicher Beziehung ist zu bemerken, dass die Klage unhaltbar ist." (130.31.)

Sowohl das Landgericht, als auch das Amtsgericht Hamburg sprachen die Hamburger Nachrichten tatsächlich frei. Kraus legte Berufung ein, wobei das Zivilgericht den Parteien dringend empfahl, sich zu vergleichen. Rechtsanwalt Lion teilte das mit, worauf Samek antwortete:

"Herr Kraus führt die Prozesse nicht um bei den Lesern der Zeitungen tadellos dazustehen, sondern lediglich als eines der Kampfmittel gegen die Zeitungen, die zur wahrheitsgemässen Berichterstattung mit jeden gesetzlich erlaubten Mitteln verhalten werden sollten. Er unternimmt daher Prozesse nur dann, wenn sie mit grösster Wahrscheinlichkeit Aussicht auf Erfolg haben und Sie haben ja seinerzeit diese Aussicht mitgeteilt. Wenn natürlich der Stand des Prozesses ein ungünstiger ist, so müsste der Vergleich abgeschlossen werden." (130.41.)

E. A. Lion erklärte, dass er gerade Kraus' Fall als den einen "hochgeschätzten Mandanten" mit ganz besonderer Sorgfalt behandle und auch durchaus bereit sei, bezüglich der Kosten Konzessionen zu machen. Schließlich einigte man sich so auf einen für Kraus günstigen Vergleich, wobei vor allem die Anwälte die Kosten trugen, was Kraus sehr bedauerte. E. A. Lion berichtete übrigens noch, der gegnerische Anwalt sei im Zuge des Prozesses zu einem neuen Verehrer von Kraus geworden.