Karl Kraus ca. Gegen-Angriff

Prag
19.11.1933 – 12.11.1935

[189.] In der Zeitschrift Der Gegen-Angriff machte Otto Basil, ein ehemaliger Anhänger von Kraus', verborgen hinter dem Pseudonym "Arnold" seinem Ärger über das Schweigen seines Vorbildes angesichts der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland Luft.

Der Artikel trug den Titel "Nachruf auf Karl Kraus" und zitierte, wiederum ohne sinnstiftenden Beistrich, das Gedicht "Man frage nicht". Kraus und Samek überlegten zusammen mit dem Prager Rechtsanwalt Johann Turnovsky verschiedene Möglichkeiten gegen diesen Artikel vorzugehen und verlangten vorerst eine Berichtigung der sinnentstellenden falschen Interpunktion.

Außerdem brachten sie eine Ehrenbeleidigungsklage gegen den Gegen-Angriff ein. Kraus' deutscher Anwalt Botho Laserstein brachte sich ebenfalls in dieser Sache ein und versuchte in einer Zuschrift an den Gegen-Angriff "eine Lanze für Karl Kraus" zu brechen:

"Ich verteidige Karl Kraus nicht, weil ich Deutschland sein Anwalt war. Ich aber habe ihm mein Vertrauen bewahrt. [...] Karl Kraus ist kein Marxist. Das ist es, was wir beklagen, und was seine Schwäche ausmacht." (189.6.)

Auch dieser Artikel enthielt allerdings unwahre Bemerkungen, und Kraus und Samek verlangten konsequenterweise eine Berichtigung. Mittlerweile kam die Klage wegen unterlassener Berichtigung in Sachen Gegen-Angriff vor einen Richter, der die Problematik der falschen Interpunktion nicht verstand und die Klage als zu geringfügig abwies.

Turnovsky erläuterte: "Es gibt eben hier viele Richter, die, von Gesetzbüchern und juristischen Publikationen abgesehen, kaum je ein Buch gelesen haben." (189.17.)

Zudem erschien die beklagte Redakteurin Marie Schnierer nicht zu den Verhandlungen. Der Gegen-Angriff fuhr nun fort, über Kraus zu spotten, der in einer solchen Zeit Satzzeichen berichtige. Dagegen wurde Beschwerde eingelegt, das Urteil aber auch in der zweiten Instanz bestätigt. Turnovsky entschuldigte sich:

"Es tut mir unendlich leid, dass es mir trotz meinen Bemühungen nicht gelungen ist, gleich bei der ersten Verhandlung einen Erfolg zu erzielen und so Herrn Kraus vor weiteren Anrempelungen des unsauberen Blattes zu bewahren. Gegen die Dummheit und Böswilligkeit des Richters ist schwer anzukämpfen, was umso bedauerlicher ist, als gerade dadurch der ganzen Redaktionsgesellschaft des Gegenangriffes der Mut zu weiteren "Heldentaten" eingeflösst wird." (189.23.)

Der Gegen-Angriff berichtete tatsächlich weiter in beleidigender Form über den "Kampf um ein Komma oder Trauriges Ende des Karl Kraus". Die Zuschrift Lasersteins wurde immerhin – zwar mit formalen Fehlern, aber doch – berichtigt. Während der Ehrenbeleidigungsprozess gegen den Gegen-Angriff noch lief, erschien noch ein schädigender Artikel, der behauptete, Kraus' Bücher würden nun im Ramsch verkauft werden. Turnovsky beantragte einen Einstellungsbeschluss des Gegen-Angriff, bis eine Erklärung (ohne Druckfehler) gebracht worden sei. Kurz darauf erschien der Artikel "Mut, Verrat oder Feigheit?", der Kraus und seine Anhänger wiederum denunzierte: "Ein 'Krausianer' - so wird von vielen Leuten ein bestimmter Typ, meist hysterischer männlicher und weiblicher alter Jungfern mit Eitelkeitskomplexen genannt [...]" (189.65.)

Sowohl aufgrund dieses Artikels als auch wegen des "Ramschverkauf"-Artikels wurde nun Beleidigungsklagen eingebracht. Die Behauptung, dass Kraus im Ramsch verkauft werde, musste schließlich widerrufen werden, doch das übrige Klagbegehren wurde abgewiesen. Ein weiterer Artikel und eine weitere Klage folgten, doch der Ausgang ist insgesamt aus den Akten nicht mehr ersichtlich. Samek und Turnovsky überlegten übrigens auch gegen die verantwortliche Redakteurin Marie Schnierer als Anwältin Disziplinaranzeige zu erstatten. In einer Äußerung zum Beweisantrag der beklagten Partei erklärt Kraus, es sei deprimierend und demütigend, sich auf das juristische, logische und ethische Niveau solcher Argumentation begeben zu müssen und: "Es gehört viel Mühe dazu, diesen logischen Unsinn zu entwirren." (189.90.)