Karl Kraus ca. Aufruf

Prag
01.09.1934 – 01.03.1937

[195.] Im September 1934 veröffentlichte der bereits einmal von Kraus belangte Autor Egon Butschowitz hinter dem Pseudonym Lucien Verneau den Artikel "Die Fackel schwelt", in dem er die im Juli 1934 erschienene Fackel Nr. 890-905 einer beleidigenden Kritik unterzog.

Kraus, dem Paranoia, Lumperei, Eitelkeit, Geldgier, Opportunismus und Feigheit unterstellt worden waren und der auch sonst lächerlich gemacht worden war, klagte den Autor und auch den verantwortlichen Redakteur Friedrich Bill. Bill engagierte für sich und Butschowitz diesmal einen Anwalt (Maximilian Reiner). Die beiden verweigerten eine Satisfaktionserklärung und wollten den Wahrheitsbeweis ihrer Behauptungen antreten, was sie dann aber vorerst nicht taten. Tatsächlich argumentierten sie wenig später, dass es sich bei Butschowitz/Verneaus Artikel um eine literarische Kritik handle und boten auch an, eine geänderte Satisfaktionserklärung zu veröffentlichen – sie würden jedoch nicht die Kosten des Verfahrens übernehmen.

Ähnlich wie Egon Schwelb im Prozess Kraus ca. Sozialdemokrat wollten sie den Wahrheitsbeweis durch umfangreiche Übersetzungen der Fackel antreten. Kurz darauf wurde angegeben, dass Butschowitz schwer erkrankt sei. Friedrich Bill erschien allein zur Hauptverhandlung und verteidigte sich nun selbst – sein Schriftsatz enthielt weitere schwere Beleidigungen. Wiederum klagte Turnovsky ausführlich über die Missstände im Gerichtswesen in der Tschechoslowakei: "Und deswegen habe ich bei jeder neuen Angelegenheit, welche ich für Herrn K. zu behandeln habe, ein einigermassen banges Gefühl." (195.47).

Wenig später starb Kraus. Im Februar 1937 wurde ein Vergleich mit Friedrich Bill erreicht, der eine Satisfaktionserklärung im Prager Mittag veröffentlichte, nachdem der Aufruf inzwischen eingegangen war. Bill wurde zudem eine Strafe von Kč 1800.- auferlegt, die ihn empfindlich traf und die immerhin die Stempel- und Dolmetschgebühren der Kraus-Prozesse deckte. Turnovsky, der eigentlich niemals daran gedacht hatte, Kraus eine Honorarnote zu stellen, begnügte sich mit sehr reduzierten Honorarkosten (195.60). Bemerkenswert ist auch, wie "unangenehm berührt" und gekränkt Rechtsanwalt Turnovsky war, nicht über die Kraus-Trauerfeier benachrichtigt worden zu sein (195.53+54).