Erinnerung von Georg Knepler

In den Offenbach-Vorlesungen von Karl Kraus stand das Wort im Mittelpunkt, der Gesang an zweiter Stelle, ja, das Singen wurde sogar – sei das nun richtig oder falsch für Offenbachs Musik – mit einer bestimmten Verachtung behandelt. (Wo zum Beispiel die Stimmittel von Kraus nicht ausreichten eine Koloratur auszuführen, ersetzte eine spiralenförmige nach oben geführte Handbewegung, was akustisch nicht herauskam, und der Spaß, den das Vortragendem und Hörenden machte, schien in der ironischen Distanz zur Oper, die immer präsent war, seine Rechtfertigung zu finden.) Ein weiteres Charakteristikum war das Wienerische. Kraus hatte seinen Offenbach in Wien kennengelernt, nicht in Paris [...]. Es sei daran erinnert, daß kein Geringerer als Nestroy in der ersten Wiener Aufführung von Orpheus in der Unterwelt 1860 den Jupiter gespielt hatte. Andere Offenbach-Rollen folgten. Nestroys Tradition scheint in Österreich für Offenbach-Aufführungen weitergewirkt zu haben. So meinte es jedenfalls Kraus, und die Schärfe und Härte der Diktion in den Couplets kommt wohl in erster Linie aus dieser Tradition.

[Georg Knepler, Karl Kraus liest Offenbach. Erinnerungen – Kommentare – Dokumentation, Wien 1984, 10]

AutorInnen: 
Datum: 
1984