696. Vorlesung am 28.01.1936

Wien
28.01.1936

[Karl Kraus las in der Urania, Großer Saal am] 28. Januar, auf Einladung der Urania, Großer Saal:

Raimund: Der Verschwender 

Auf dem Programm: der in der Bibliothek der Stadt Wien gefundene Theaterzettel vom 18. Januar 1863 und eine Notiz dazu, ähnlich der vom 31. März 1935 (siehe Nr. 909—911, S. 50 f.: »Verschwenderisches Theater«); sie endet mit der Stelle über Girardi, welche nun lautet:

— — unvergeßlich als junger wie als alternder Valentin: erschütternd in der Szene des Wiedersehens, ergreifend im Hobellied — auch mit der jedesmaligen Scheu, die Strophe vom Tod zu vollem Ausdruck zu bringen, was er wohl vermocht hätte.

[Die Fackel 917-922, 02.1936, 42] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Programmzettel

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Der Verschwender

Original-Zaubermärchen in drei Akten von Ferdinand Raimund,

eingerichtet von Karl Kraus

Musik von Konradin Kreutzer

Begleitung: Franz Mittler

Theaterzettel einer Wohltätigkeits-Vorstellung zum Vortheile der Witwe des Komikers Tomaselli, Carltheater, 18. Januar 1863, mittags ½1 Uhr

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Diese einzigartige Besetzung (mit den ersten Hofschauspielern auch in kleinen Rollen) ist auf einem Theaterzettel verzeichnet, der in der Bibliothek der Stadt Wien gefunden wurde. Mehr Glanz und Größe dürften noch nie auf einer Szene versammelt gewesen sein; Beckmann ist jener bedeutende Berliner Charakterkomiker, dessen Titus Feuerfuchs (vor seinem Burgtheaterengagement) Kierkegaard beschreibt und dessen Knieriem über den Nestroys gestellt wurde. (Die Wildauer gehörte beiden Hofbühnen an, Mayerhofer ist der berühmte Opernbassist.) Die erste Aufführung des »Verschwender« mit Burgschauspielern, am 18. April 1844 im Josefstädter Theater, war veranstaltet von Ludwig Löwe, der den Flottwell gab, mit Dlle. Anschütz als Cheristane, der Wildauer als Rosa und Wothe als Dumont, neben Wallner als Valentin. Eine ähnliche »Galavorstellung« mit Sonnenthal, Lewinsky, Meixner, Frau Haizinger und Frl. Janisch (Cheristane), neben der Geistinger als Rosa und Friese (statt des angekündigten Baumeister) als Valentin, fand am 28. Dezember 1872 im Theater an der Wien statt. In der Uraufführung — in der Josefstadt am 20. Februar 1834 — hatte Raimund den Valentin gespielt. In das Burgtheaterrepertoire ging das Werk, nach der Erstaufführung im Opernhaus 1885, mit Sonnenthal und Lewinsky, Frau Schratt als Rosa und Tyrolt als Valentin über. Um die Jahrhundertwende hat Kainz in dieser Rolle versagt, deren vollkommener Darsteller in jener Zeit Girardi war, unvergeßlich als junger wie als alternder Valentin, erschütternd in der Szene des Wiedersehens, ergreifend im Hobellied — auch mit der jedesmaligen Scheu, die Strophe vom Tod zu vollem Ausdruck zu bringen, was er wohl vermocht hätte

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