[Karl Kraus las im Kleinen Konzerthaussaal am] 4. Dezember, 7 Uhr:
Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab, Parodierende Posse mit Gesang in drei Abteilungen von Johann Nestroy. Musik von Mechtilde Lichnowsky.
Zugaben: Entree des Willibald / So gibt es halt allerhand Leut’ auf der Welt.
Von dem vollen Ertrag — wie 5. November —: K 3,619.555 K 2,000 000 als Ehrengabe an Frau Stephanie Nestroy, die Schwiegertochter des Dichters; der Rest für die »Vereinigte In- und Auslandshilfe für tuberkulöse Kinder« (Reichsanstalt für Mutter- und Säuglingsfürsorge, Wien, XVIII., Glanzinggasse 37), die Aktion »Winterkleider für Schulkinder« (I., Rathausstraße 9, neues Amtshaus) und Notleidende.
[Die Fackel 608-612, 12.1922, 52] - zitiert nach Austrian Academy Corpus
Programmzettel
[...]
Zum ersten Male
Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab
Parodierende Posse mit Gesang in drei Abteilungen von Johann Nestroy
Musik von Mechthilde Lichnowksy
[...]
Zugaben: Willibald
So gibt es halt allerhand Leut’ auf der Welt.
Die erste überaus erfolgreiche Aufführung der Parodie hat am 13. Februar 1835 stattgefunden; sie dürfte aber bald nach dem Original Holteis und nach dessen Gastspiel in der Rolle des Dichters Heinrich vom Wiener Repertoire verschwunden sein. Freilich hat Holteis »Lorbeerbaum und Bettelstab« wie jede solche Schablone für schauspielerisches Pathos gelegentlich noch große Darsteller und Virtuosen, von Emil Devrient bis Haase und Sonnenthal, angezogen und sich auch in der Provinz erhalten. Wenn man heute als Leser die Wahl hat, dieses Rührstück eines der bravsten Menschen und schlechtesten Musikanten jener Literaturepoche oder die Nestroy’sche Posse für eine Parodie zu halten, so würde man glauben, jenes sei sie. Nicht mit Unrecht sagt ein Monograph, daß Nestroys Dichter Leicht »weniger eine Karikatur des Originals als vielmehr ein bis ins Zynische getriebenes Gegenstück« sei. Nestroy hat dem Jammerlappen, dessen »Genie« darin besteht, daß er es behauptet und gegen die Banalität einer undankbaren Welt mit seinem banaleren Begriff von Poetentum und mit unleidlicher Schönrednerei auftrumpft, ganz bewußt seinen resoluten Theaterhandwerker und späteren Harfenisten entgegenstellt und die Beziehung auf die Vorlage eigentlich nur in der gesellschaftlichen Reduzierung des Milieus durchgeführt. »Wollen Sie mich foppen? Oder halten Sie mich wirklich für so dumm? Bis zum Lorbeer versteig’ ich mich nicht. G’fallen sollen meine Sachen, unterhalten, lachen sollen d’ Leut’, und mir soll die G’schicht a Geld tragen, daß ich auch lach’, das ist der ganze Zweck. G’spaßige Sachen schreiben und damit nach dem Lorbeer trachten wollen, das ist grad so, als wenn einer ein’ Zwetschgenkrampus macht und gibt sich für einen Rivalen von Canova aus.« Wenn diese berühmt gewordenen Worte des Leicht wirklich ein Selbstbekenntnis seines Autors waren, so konnte Nestroys Bescheidenheit, der man zwar die künstlerische Geringschätzung des eigenen Wirkens, aber nicht dessen materielles Motiv glaubt, nur von seinem Genie übertroffen und berichtigt werden, das sich auch im Dialog dieses unbekannteren Werkes nicht verleugnet. Die Figuren sind ganz losgelöst von ihrer Beziehung verständlich, zumal der dem weltgewandten »Chevalier« Holteis kontrastierte Herr Überall, der grundsätzlich nur nach Fischamend reist und alle Geschehnisse aus der Perspektive dieses Ortes betrachtend, das Urbild eines geradezu liebenswerten Idiotismus darstellt. Der Vortrag, in dem nur wenige saloppe oder ungenau überlieferte Versstellen verändert und die zwei Coupletstrophen des Herrn Überall um eine Zusatzstrophe vermehrt sind, wurde durch die Entstehung der Begleitmusik angeregt, die gleich dem Entree in den »Schlimmen Buben in der Schule« und den andern Kompositionen Mechtilde Lichnowskys zu Nestroy (namentlich im Lied der Agnes, des Fischamend-Narren und in den drei Harfenistenliedern) ein Wunder der Einfühlung bedeutet und eine verschollene Zeitstimmung so wiederherstellt, daß man sich die verschollene Originalmusik gar nicht anders und nicht zeitechter denken könnte.
[...]
30. 11. 1922.
Sehr geehrter Herr Lányi.
Aus dem mir freundlichst übersandten Programm der Vorlesung Karl Kraus am 26. November 1922 entnehme ich, daß Karl Kraus sich im Besitze eines Briefes von meiner Hand befindet, in dem ich am 29. Oktober 96 Peter Altenberg eine Äußerung Gerhart Hauptmanns über ihn, gleich ehrenvoll für beide, zur Kenntnis brachte; und erfahre ferner, daß Karl Kraus diesen meinen Brief zu Gunsten des Fonds zur Errichtung eines Grabsteines für Peter Altenberg zu verkaufen beabsichtigt, fallsich binnen acht Tagen keinen Einspruch erheben sollte. Karl Kraus hat einen solchen Einspruch gewiß nicht ernstlich befürchtet und wird nicht einmal sonderlich überrascht sein, wenn ich selbst als Kauflustiger mich zu melden hiemit so frei bin, — und zwar mit einem Anbot von 250.000 Kronen, die ich durch die Postsparkasse der Buchhandlung Richard Lányi überweise.
Mag es auch fraglich erscheinen, ob Karl Kraus berechtigt war ein Privatschreiben von mir ohne meine vorherige Genehmigung abzudrucken oder vorzulesen und zu einer eventuellen Feilbietung dieses meines Schreibens sich mit meiner nachträglichen oder gar mit einem Schweigen meinerseits begnügen zu wollen (wenn er auch allen Grund hatte mein Einverständnis zu Veröffentlichung und Verkauf als selbstverständlich vorauszusetzen) — so wenig denke ich daran ihm das unbeschränkte Verfügungsrecht über den erzielten Kaufpreis abzusprechen. Trotzdem — und ich glaube damit nicht nur im Sinne des großen lebenden Dichters vorzugehen, dessen Äußerung ich festgehalten, sondern auch im Geist des großen toten Dichters, dem ich sie zur Kenntnis gebracht hatte — trotzdem gestatte ich mir dem augenblicklichen Eigentümer meines Schreibens in aller Bescheidenheit den Vorschlag zu unterbreiten, ob er nicht — entgegen seiner ursprünglichen edeln Absicht, den Erlös für mein Autogramm dem Fonds zur Errichtung eines Grabsteines für Peter Altenberg zuzuführen (von dessen Existenz, des Fonds nämlich, mir übrigens bis zum heutigen Tage nichts bekannt war und auf dessen Gründung
der praktische Philosoph und Durchschauer menschlicher Eitelkeiten kaum sonderlichen Wert gelegt haben dürfte) — diese Summe einem meines Erachtens noch edleren und jedenfalls nützlicheren Zwecke, — nämlich der Österreichischen Künstlerhilfe zuzuwenden sich entschließen möchte; wie er es so oft mit anderen, höheren, aus eigenem Schaffen stammenden Beträgen zu tun pflegt.
Sollte jedoch auf mein Autogramm ein höheres Anbot erfolgen als das meine (was mir trotz der eigenhändig an den Rand geschriebenen Notiz Peter Altenbergs unwahrscheinlich dünkt, da im Laufe des seither vergangenen Vierteljahrhunderts sowohl die Adresse des Nachtkaffeehauses als auch die vermutliche Adresse der Besucherin jenes Nachtkaffeehauses an aktuellem Interesse und praktischer Verwendbarkeit allzuviel eingebüßt haben dürften) — so ziehe ich natürlich mein Anbot zu Gunsten jenes höheren zurück, nicht aber die der Buchhandlung Lányi überwiesene Summe von 250.000 Kronen, die ich in diesem Falle ohneweiters der Österr. Künstlerhilfe zur Verfügung zu stellen bitte.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Dr. Arthur Schnitzler
2. 12. 1922.
Hochgeehrter Herr Doktor!
Mit dem besten Dank für Ihr sehr freundliches Schreiben vom 30. 11., das ich Herrn Karl Kraus übermittelt habe, beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß nach meinem Dafürhalten das autographische Dokument — mit drei Handschriften und dem Urteil Gerhart Hauptmanns — einen noch weit höheren Wert als die freundlich übersandten 250.000 Kronen hat, für deren gütige Spende ich Ihnen, auch im Namen des Herrn Karl Kraus, in jedem Falle herzlich danke. Es kann ja wohl nicht angenommen werden, daß jene praktische Unverwendbarkeit der von Peter Altenberg eigenhändig hinzugesetzten und heute veralteten Adressen, von der Sie scherzhaft sprechen, dem Wert des Schriftstücks Abbruch tue, zu dessen Erhöhung überdies, was Sie, hochgeehrter Herr Doktor, übersehen haben, auch die handschriftliche Bestätigung des augenblicklichen Eigentümers nicht unerheblich beiträgt. Mit vollem Recht aber bemerken Sie, daß dieser Ihren Einspruch nicht ernstlich befürchtet hat, vielmehr allen Grund hatte, Ihr Einverständnis zur Veröffentlichung (die übrigens nur durch das Programm und nicht durch eine Vorlesung erfolgt ist) und zum Verkauf eines Briefes als selbstverständlich vorauszusetzen, der ja seinem Inhalte nach kaum als »Privatschreiben« aufgefaßt werden könnte. Hätte er mit der Förmlichkeit einer Anfrage Zeit verloren, so wäre die Gelegenheit, das Publikum seiner Vorträge auf das Dokument aufmerksam zu machen und eine kräftige Unterstützung der Aktion zu ermöglichen, versäumt worden. Was Ihren Vorschlag zur Verwendung des von Ihnen überwiesenen Betrages anlangt, so wird dieser ganz in Ihrem Sinne der »Österreichischen Künstlerhilfe« gewidmet werden, wenn der Erlös des dreifachen Autogramms ihn übersteigen sollte. Im andern Falle, wenn also kein höheres Anbot als das Ihre erfolgt, wären Sie, hochgeehrter Herr Doktor, der Käufer, dem jenes ausgehändigt würde. In diesem Fall jedoch könnte sich Herr Karl Kraus nicht damit einverstanden erklären, den Betrag statt dem Fonds zur Errichtung eines Grabsteines für Peter Altenberg der »Österreichischen Künstlerhilfe« zu überlassen. Ihr Hinweis, daß er selbst diesem Zwecke höhere, aus eigenem Schaffen stammende Beträge zuzuwenden pflege, beruht insoferne auf einem Irrtum, als solche Beträge der »Österreichischen Künstlerhilfe« tatsächlich zu einer Zeit zugewendet wurden, da die Bestimmung dieser Aktion die österreichischen Künstler noch nicht als Objekt — was ja wohl dem Sinn des Wortes besser entsprechen mag —, sondern als Subjekt der Hilfe gemeint, also bedeutet hat, daß die österreichischen Künstler den hungernden Russen helfen, nicht, daß ihnen selbst geholfen werde. Auch dies mag nun, wie Sie ganz zutreffend bemerken, ein nützlicher und edler Zweck sein, deckt sich aber nicht mit der Intention des Herrn Karl Kraus, der Menschennot ohne Rücksicht auf den Beruf der Notleidenden und darauf, daß sie etwa Künstler sind oder sich dafür halten, abzuhelfen. Er würde gewiß nicht zögern, von den Erträgnissen seiner Vorlesungen auch Künstler zu beteilen, aber keineswegs in
Würdigung ihrer speziellen Tätigkeit oder eines Werts, der sie aus der unübersehbaren Masse des Elends heraushebt. Da er in dieser allgemeinen Richtung, die nur das gleiche Recht des Bedürfens anerkennt, seine Pflicht erfüllt, so glaubt er, sie durch die Ehrung eines so teuren Dichtergrabes, welche freilich hinter der Achtung vor der Not des Lebens zurückstehen müßte, nicht zu verkürzen. Es mag wohl sein, daß auch der praktische Philosoph und Durchschauer menschlicher Eitelkeiten höheren Wert auf jene Pflicht als auf die der Pietät gelegt hätte. Immerhin wollen Sie in Erwägung ziehen, daß er selbst in einer seiner Skizzen die Inschrift für sein Grab bestimmt hat, das bis heute, obschon es, und im wahren Sinne des Wortes, ein Ehrengrab der Stadt Wien ist, sogar eines Kennzeichens entbehren muß.
Mit wiederholtem Dank und in vorzüglicher Hochachtung
Richard Lányi
Die Hähfte des Ertrags als Ehrengabe an Frau Stephanie Nestroy, die Schwiegertochter des Dichters; der Rest für die »Vereinigte In- und Auslandshilfe für tuberkulöse Kinder« (Reichsanstalt für Mutter- und Säuglingsfürsorge, Wien, XVIII., Glanzinggasse 37), die Aktion »Winterkleider für Schulkinder« (I., Rathausstraße 9, neues Amtshaus) und Notleidende.
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