146. Vorlesung am 19.10.1919

Wien
19.10.1919

[Karl Kraus las im Mittleren Konzerthaussaal am] 19. Oktober, ½3 Uhr:

I. Aus: Die letzten Tage der Menschheit: V 56 (Schluß), I 10 und 11, III 16, V 37, 38, 35, »Der sterbende Soldat«, V 5, IV 16, II 11, V 27 (mit Vorbemerkung), »Der Zeuge« aus »Die letzte Nacht«.

II: Die Schlußszene des V. Aktes (gekürzt).

Die Erhöhung der ersten Preiskategorien zugunsten des Zentralverbandes der deutschösterreichischen Kriegsbeschädigten.

[Die Fackel 521-530, 01.1920, 96] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Programmzettel

[...]

Aus: Die letzten Tage der Menschheit:

Verschiedene Szenen V. 56 (teilweise), I 10 u. 11, III 16, V 37 und 38, 35, »Der sterbende Soldat«, V 5, IV 16, II 11, V 27 (mit Vorbemerkung), »Der Zeuge« aus dem Epilog »Die letzte Nacht«.

Zehn Minuten Pause

II. Die Schlußszene des V. Aktes (gekürzt)

[...]

Die Erhöhung der ersten Preiskategorien zugunsten des Zentralverbandes der deutschösterreichischen Kriegsbeschädigten.

Ein Teil des Ertrages der Vorlesungen vom 9., 16. März und 1. April 1919 war dem Zentralverband der deutschösterreichischen Kriegsbeschädigten gewidmet. Auf zweien der drei Programme war die folgende Zuschrift abgedruckt:

Exh.-Z. 1976. Wien, am 21. Februar 1919.

Sehr geehrter Herr!

Wir kennen Ihre Abneigung gegen Anbiederung jeder Art, können aber nicht umhin, Ihnen, dem mahnenden Gewissen von Wien, einem der wenigen Deutschen, welche sich in der Zeit des Wahnsinnes als aufrechte Männer erwiesen haben, unsere aufrichtigste Verehrung auszusprechen.

Wir bitten Sie, sich unserer Sache, der Sache der Invaliden Deutsch-Österreichs, anzunehmen und einen Vortrag zu Gunsten der Invalidenfürsorge zu veranstalten.

Wir verfolgen bei unserem Ansuchen einen doppelten Zweck:

Wir wollen durch Ihre Hilfe einen kleinen Beitrag zur Linderung der ungeheuren Not erhalten, die wir täglich in unseren Amtsräumen vor Augen haben, und dann, was uns viel wichtiger ist, wollen wir durch Ihren Mund die Öffentlichkeit wachrufen und an ihre Pflicht gegen die Invaliden, möge sie ihr auch noch so unangenehm sein, erinnern.

Wir bitten Sie, uns diesen großen Dienst zu leisten, und zeichnen mit dem Ausdrucke der vorzüglichsten Hochachtung

Zentralverband der deutschösterreichischen Kriegsbeschädigten.

Dazu die Worte:

Dieser Appell, vom Vorleser an das Publikum weitergegeben, wird seine volle Wirkung erst erreicht haben, wenn er nicht nur monarchistische Ruhestörer kleinlaut macht, sondern alle andern bewegt, zu einem Zweck beizusteuern, dessen Bedürftigkeit jeden Überlebenden dieses Kriegs mit ewiger Scham erfüllen muß.

Das Ergebnis des Anrufs von 3400 Karteninhabern waren 50 Kronen und die folgende Erklärung auf dem Umschlag des Heftes der Fackel vom Ende Juli 1919:

Auf viele Anfragen: Vorlesungen Karl Kraus werden erst wieder stattfinden, wenn das Publikum des kleinen, mittleren und großen Konzerthaussaales, vom 9. März, 16. März und 1. April 1919, dem Appell des Vorlesers für den »Zentralverband der deutschösterreichischen Kriegsbeschädigten« (I. Landskrongasse 1, Postsparkassenkonto Nr. 81.658) in einem das Ergebnis von 50 Kronen erheblich übersteigenden Maße entsprochen haben wird.

Der Zentralverband schrieb am 26. August:

Die in der Fackel Nr. 514—518 vom August 1919 auf der letzten Seite gedruckte Notiz »Auf viele Anfragen« haben wir mit größtem Vergnügen gelesen und danken bestens für die freundliche Unterstützung unserer Intentionen. Wir werden gewiß bestrebt sein, Ihrem Appell, den Sie an Ihre Leser richten, in jedem Maße gerecht zu werden, so daß wir die einlaufenden Spenden nur den bedürftigsten Kriegsinvaliden, Kriegerwitwen und -Waisen zuwenden werden.

Wir danken herzlichst für alle Ihre Bemühungen und verbleiben etc.

Am 5. September:

Wir beehren uns Ihnen mitzuteilen, daß als Ergebnis Ihrer dankenswerten Propaganda bis heute K 334·— bei uns eingezahlt wurden. Wir wissen ja, daß Sie der einzige Schriftsteller Wiens waren, der während des ganzen Krieges allein den Mut aufbrachte, gegen den Krieg zu schreiben. Es ist also jetzt nur sehr natürlich, daß die Kriegsgewinner und alle jene Leute, die aus unserem Volke Blut gemünzt haben, für eine Aktion, an deren Spitze der bei ihnen verhaßte Name Karl Kraus steht, nicht zu haben sind. Wir sehen es ja an dem Einlaufe der Spenden, K 10·—, K 15·—, wenn es hoch geht, K 20·—, daß es wieder nur arme Teufel sind, die den noch Ärmeren helfen wollen, nach ihren besten Kräften.

Bis zum 3. Oktober waren 479 Kronen eingelaufen*). Die Mitteilungen des Zentralverbandes der Kriegsbeschädigten führten zu dem Entschluß, die Vorlesungen zwar nach sechsmonatiger Pause wieder aufzunehmen, aber durch Erhöhung der ersten Preiskategorien auch die bemittelten Kreise an der Unterstützung der Invaliden teilnehmen zu lassen.

Die Sistierung war noch durch einen andern Umstand begründet. Bei der letzten Vorlesung, in »Hanneles Himmelfahrt«, hatte in dem Augenblick als der Fremde sich in Christus verwandelt, eine Dame den Saal verlassen, um alsbald mit ihrer Garderobe wiederzukehren. Die Untersuchung ergab die Tatsache, daß die Saaldiener gegen das durch den Krieg erzogene Publikum wehrlos sind. Der Vorleser ist es nicht. Am vorzeitigen Verlassen des Saales kann er niemand hindern, wohl aber an der Wiederkehr. Er wird, wenn am Beginn ein Schutz der Hörer gegen die Störer dank den Verkehrsverhältnissen nicht möglich ist, doch den Verlauf und das Ende der Vorlesung zu sichern wissen.

Bei dieser Gelegenheit sei wie so oft die Bitte ausgesprochen, daß auch die Heiterkeit der tragischen Beziehung eingedenk bleiben möge, der das Gehörte trotz Stoffen, Namen und Dialekten doch entstammt.

[...]