[Karl Kraus las,] Mittlerer Konzerthaussaal, 18. Februar, halb 6 Uhr:
»Die letzten Tage der Menschheit«.
I. Vorspiel.
II. Aus verschiedenen Akten: Sirk-Ecke / Volksschule / Standort des Hauptquartiers (Vier Heerführer) / In der Kaffeesiedergenossenschaft / Am Janower Teich / Sirk-Ecke / Nachtlokal / Kino im Hauptquartier / Kriegsministerium / Ringstraßencafé / Vorlesung des Nörglers.
Ein Teil des Ertrages für die Bewohner der Häuser XX. Leystraße 69 und Rudolfsheim, Beckmanngasse 66 (siehe »Bilder aus Wiener Menschenställen«, Arbeiter-Zeitung, 16. Februar 1919.)
[Die Fackel 508-513, 04.1919, 32] - zitiert nach Austrian Academy Corpus
Programmzettel
[...]
Die letzten Tage der Menschheit
Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog
(Enstanden in den Sommern 1915 bis 1917)
I.
Vorspiel:
Sirk-Ecke. Ministertisch im Café Pucher. Kanzleizimmer im Obersthofmeisteramt. Südbahnhof. Einbringung der Leichen. (Diese Szene wird mit Marionetten gespielt.)
5 Minuten Pause.
Aus verschiedenen Akten:
II.
Sirk-Ecke. Volksschule. Standort des Hauptquartiers (Vier Heerführer). In der Kaffeesiedergenossenschaft. Am Janower Teich. Sirk-Ecke. Vor einem Friseurladen in der Habsburgergasse. Nachtlokal.
III.
Sirk-Ecke. Kino im Hauptquartier. Im Kriegsministerium. Ringstraßencafé. Vorlesung des Nörglers.
Die Aufführung des Dramas, dessen Umfang nach irdischem Zeitmaß etwa zehn Abende umfassen würde, ist einem Marstheater zugedacht. Der Inhalt ist von dem Inhalt der unwirklichen, undenkbaren, keinem wachen Sinn erreichbaren, keiner Erinnerung zugänglichen und nur in blutigem Traum verwahrten Jahre, da Operettenfiguren die Tragödie der Menschheit aufführten. Die Handlung, in hundert Szenen und Höllen führend, ist unmöglich, zerklüftet, heldenlos wie jene. Der Humor ist nur der Selbstvorwurf eines, der nicht wahnsinnig wurde bei dem Gedanken, mit heilem Hirn die Zeugenschaft dieser Zeitdinge überlebt zu haben. Außer ihm, der die Schmach solcher Zeugenschaft einer Nachwelt preisgeben will, hat kein anderer ein Recht auf diesen Humor. Die Mitwelt, die geduldet hat, daß die Dinge geschehen, die hier aufgeschrieben sind, stelle das Recht zu lachen hinter die Pflicht zu weinen. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate. Larven und Lemuren, die hier auftreten, tragen lebende Namen, weil dies so sein muß und weil eben in dieser vom Zufall bedingten Zeitlichkeit nichts zufällig ist. Das gibt keinem das Recht, es für eine lokale Angelegenheit zu halten. Auch Vorgänge an der Sirk-Ecke sind von einem kosmischen Punkt regiert. Wer schwache Nerven hat, wenn auch genug starke, die Zeit zu ertragen, entferne sich von dem Spiel. Es ist nicht zu erwarten, daß eine Gegenwart, in der es sein konnte, das wortgewordene Grauen für etwas anderes halte als einen Spaß, zumal wenn es ihr aus der anheimelnden Niederung der grausigsten Dialekte wiedertönt. Es mag auch zu befürchten sein, daß eine Zukunft, die den Lenden einer so wüsten Gegenwart entsproßen ist, trotz größerer Distanz der größeren Kraft des Begreifens entbehrt. Dennoch muß ein so restloses Schuldbekenntnis, dieser Menschheit anzugehören, irgendwo willkommen und irgendeinmal von Nutzen sein.
Weglassung von Szenen vorbehalten.
Ein Teil des Ertrages für die Bewohner der Häuser XX. Leystraße 69 und Rudolfsheim, Beckmanngasse 66 (siehe »Bilder aus Wiener Menschenställen«, Arbeiter-Zeitung, 16. Februar 1919.)
[...]